, Licht und Schatten. Sonnenschein und Regen, Leid und Freud, Glück und Unglück. Im großen und ganzen sind gar viele Jahre einander ähnlich. Aber, was das scheidende Jahr 1905 gebracht hat und das kommende Jahr 1906 bringen wird, reicht weit über das Gewöhnliche hinaus; diese Jahreszahlen werden in der Weltgeschichte gewiß sehr dick angestrichen sein. Die Hauptrolle kommt 1905 Rußland zu, nicht weil es das Größte geleistet, sondern das Schrecklichste erduldet hat. In diesem Jahr ist der Krieg
mit Japan zu Ende gegangen, in dem die russischen Heere eine Niederlage nach der andern, eine fürchter licher als die andere, erlitten haben. Tausende, Hunderttausende find auf den Schlachtfeldern von Oftafien gefallen, ebensooiele wurden gefangen und verwundet, Millionen der Hinterbliebenen find arm, elend, zeitlebens unglücklich geworden. Endlich find dem stolzen Weltreiche die Kräfte und die Hoff nungen ausgegangen; eS sah sich gezwungen, Frieden zu schließen. Der Frieden ist für Rußland weit besser
und ehrenvoller aus gefallen, als nach den vielen Niederlagen zu erwarten war. Ruß land hat also Frieden? O nein; eS wurde von einem Krieg in den andern gestürzt und dieser zweite ist noch ärger, gefähr licher und schrecklicher: es ist der Bürgerkrieg. Schon der japanische Krieg hat aufgedeckt, daß in Rußland vieles, vieles faul, ganz saul, daß Rußland mit seiner scheinbaren Macht nach außen und seiner Ordnung im Innern eigentlich das ist, was man ein übertünchtes Grab nennt. Kaum war also der Frieden
nach außen da, ist der Unfrieden im Innern loSgebrochen. Und was ist geschehen? In Rußland herrscht ein furchtbares wirtschaftliches Elend. Alle Jahre gibt'S dort bald da, bald dort Hungersnot unter den Bauern und unter den FabrikSarbeitern. Die einen wie die andern haben von den Staaten Westeuropas gelernt. Es find sogenannte Streiks, Arbeitseinstellungen, ausgebrochen. Gestreikt haben die Arbeiter, die Staatsdiener, die Beamte", die Eisenbahner, alle möglichen anderen Gattungen;;von privaten
und öffentlichen Angestellten, gestreikt haben endlich sogar die Soldaten. Das Elend wurde damit nicht geringer, es mußte noch mehr anwachsen. Damit wuchs selbstverständlich die allgemeine Unzufriedenheit, der Haß gegen die Regierung und den Staat. In Rußland herrscht noch ein anderes Elend, das politische. Dort hat nämlich das Volk in der Politik nichts, der Zar, der Kaiser, alles zu redenl Damit hängt eine, uns ganz unbegreif liche, fürchterliche Knechtung des Volkes zusammen. Wer sich muckst, wird gefesselt