in Rußland, das ja bis ins Jahr 1920 hinein versuchte, Estland der Sowjetunion anzugliedern. Verständlich, daß auch heute noch das Verhältnis zu Ruß land nicht rosig ist und ein Stacheldrahtverhau die Grenze ziert. Der Einfluß des großen russischen Nachbarn ist in Estland - so wie auch in Lettland — ein denkbar geringer. Ich fragte viele Balten, ob sie in Rußland gewesen seien, und erhielt immer wieder die Antwort: „Aber das ist ja unmöglich..." Auch fand ich in keinem Geschäft russische Waren ausgelegt
im Sowjetparadies — den Meerbusen auf dem Landwege zu umfahren ist also eine poli tische Unmöglichkeit. Ganz abgesehen davon, daß die Wege in Rußland so jämmerlich sind, daß sie einem „Aufruf zum Achsen bruch" gleichkommen. Ein Diplomat, der in Rußland mit dem eigenen Wagen reisen „durfte", hat das berichtet. Ansonsten weiß man weder in Estland noch in Finnland etwas über das Nachbarland jenseits des Stacheldrahtes. Es ist kaum anders, als wenn man einen Chinesen über die Verhältnisse in Pata gonien befragen
würde; er würde nicht mehr und nicht weniger Mir 300 Kilometer über den Nordatlantik wissen, als die Esten über Rußland, nämlich — nichts! Im Hotel „Kuld Löwi", was zu Deutsch recht bieder „Goldener Löwe" heißt, sind alle Aufschriften sechssprachig, nämlich estnisch, lettisch, finnisch, schwedisch, deutsch, englisch — aber Russisch fehlt, obwohl Rußland nur 200 Kilometer, England aber 2000 Kilometer ent fernt ist. „Russische Gäste?" frage ich den Portier; nein, nicht daß er sich erinnern könne... Ebenso
sind in der Hotelhalle Zeitungen aller möglichen und unmöglichen Länder vorhanden, aber keine einzige russische! Wo bleibt also Rußland? Hinter dem Stacheldrahtverhau! Nachdem es für die Nachbarvölker nicht möglich ist, nach Ruß land zu reisen, so scheidet das auch für uns aus. Also auf dem Seeweg über den Finnischen Meerbusen nach Helsinki. Es ist ja nur ein Sprung, vier Stunden dauert die Fahrt; drei Mark kostet das Billett, acht Mark der Kadett, der sich etwas ausruhen darf. Auf dem Boote .Aegna" „MhmLM 222