6 ... „Bogiier Nachrichten', Der Afsociö Roman nach dem Französischen von Heinrich Köhler. (20. Fortsetzung.) An diesem Punkt seiner Erinnerungen angelangt, beugte Graf Bodo sich vor sich nieder; er pflückte einen Zweig des um ihn stehenden Heidekrautes und nahm ihn zwischen die Lippen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Dann, sich vor die Brust schlagend, sagte er mit leiser Stimme: „Gott sei Dank, Leopold Schneider war so töricht nicht, er ist zwar gestorben, aber er lebt
in einem andern weiter, denn er sitzt hier auf dieser Bank!' Damit sprach er die Wahrheit. Leopold Schneider war es, der eben nach Cormeilles gekommen war und in diesem Augenblick auf der Moosbank unter den Eichen Mß. Ja, der Mann, der hier, in tiefes Sinnen verloren, sein Leben vor seinen geistigen Augen vorüberziehen sah, war in der Tat nicht Graf Bodo Czinsky und konnte eK schon deshalb nicht sein, weil dieser schon seit mehr als vi^r Jahren in der Erde ruhte. - Derjenige, ben wir von nun an bei seinem wahren Na men Leopold
Schneider nennen wollen, war nichts anderes als der Associe eines Toten, des Grafen Wzdo Czinsky. Ein ernster, fast feierlicher Ausdruck trat in das Ge sicht des Dasitzenden, denn wie eine Vision tauchte sein längst verstorbener Gefährte vor ihm auf. ' „Ja, mein armer Freund,' sprach er vor sich hin, „ich habe deine Rolle in der großen Tragikomödie Leben über nommen, und obgleich dein Körper seit bereits- vier Jahren sechs Fuß tief unter der Erde ruht, lebst dm in meiner Per son noch fort
dies alles, auf daA nicht ö mehr daran erinnere, daß ich jemals gelebt habe,' sagtest du. Hierauf stießest du den letzten Seufzer aus. Ich habe deinen letzten Willen nicht erfüllt, das muß ich zugeben, aber was schadet das dir? Aas Porträt deiner Mutter, Heine Papiere, alles habe ich jmsgeboben, und als ich dein Ubleb?n bei der Polizei an- «aulstkg, Z3. Aprit 1916 Nr. S1 meldete, gab ich an, daß der Verstorbene Leopold Schneider geheißen habe. War es mir doch leicht gemacht, durch deine Papiere jeden davon
zu überzeugen- daß ich der Graf Bodo Czinsky sei. Mit deinem Namen erwarb ich mir ein edles Herkommen, eine ruhmvolle Vergangenheit, die dir nach deinem Tode ja doch nichts mehr nützen konnten. Du nahmst meinen Namen mit ins Grab; ich habe den deinen dafür eingetauscht und bin noch mehr Pole, noch mehr Edelmann geworden, als du es je gewesen bist!' . . Es war, als ob Leopold Schneider sich nur noch körperlich in dieser Welt befände, während sein Geist sich im Reiche der Schatten mit einem Phantom unterhielt