Brief aus Baris. Von Dr. Josef Blattl. Paris, 2. Sept.ember. Jeder Deutsche, der das erstemal nach Paris fährt, kann nicht umhin, eine Schilderung seiner Eindrücke in der Seinestadt nach Hause zu schicken. Und natürlich ist jeder Deutsche von Hause aus verpflichtet, bei Abfassung dieser in die heimatliche Presse geleiteten Berichte in den Tönen des höchsten Entzückens zu schwelgen. Paris ist eine schöne, eine verführerische Stadt. Metropole par excellence. Die Frauen sind samt und sonders
die noch kindlichgläubigen Amerikaner, denen die Deut schen zahlenmähig und in vorurteilsfreier Hingabe an alles Angepriesene schon nicht mehr viel nach stehen. Der Pariser ist als echter Franzose zwar fest davon überzeugt, dah es auf der ganzen Welt nichts gibt, was überhaupt verdient, neben Paris einiger Beachtung gewürdigt zu werden, aber er ist wenigstens so klug, das nicht in den von den anderen angeschlagenen Trompetentönen auszuposaunen. Durch das fabelhaft geschickte (es sei neidlos aner kannt) Blendwerk
hindurch sah ich ^das andere Daris, von dem m den deutschen Schilderungen nicht die Rede ist und an dem vorbeizusehen die Reisenden angehalten werden. Das in die Augen springende, in tausend Farben schillernde, das lachende, tanzende, soupierende Paris, die Gri- fetten, die Girls, Folies Bergeres, die Mi- stinguette — gewih, alles das sind Sehens würdigkeiten (um nicht zu sagen Altertümer), aber sie einmal gesehen zu haben, genügt. Muh man sie hundertzehnmal schildern? Ist Girlkultur
nicht international? Man sagt, Paris sei darin tonangebend, und das ist wahr. Wenn man aber glaubt, dah nur Paris allein die Ge nüsse, die gemeiniglich (wenn auch fälschlich) für des Lebens höchste gehalten werden, aufzuweisen und amtlich verbrieft habe, so gibt man sich jenem süh be rauschenden Gifte der Einbildung hin, das uns in einen Zustand von krance ambulante versetzt, in dem wir die Dinge doppelt und in der Vergröhe- rung sehen. Und man tut automatisch, was man von anderen gesehen hat: Man rühmt
, man rühmt, man rühmt! Bis zur Bewußtlosigkeit! Rühmt alles, was irgendwie mit oder ohne Paris zu tun hat. Die lächerlichsten Dinge erscheinen in einer fünffachen Gloire. Leute, die sich im Leben nie verblüffen lassen, waschechte Berliner, verleugnen alle Grundsätze. Paris täuscht tout le monäe. Der Vergnügunsreisende sieht Paris durch ein rosa gefärbtes Glas. Man muh Paris aber mit nüchternem Magen am Morgen sehen. Das ist zwar barbarisch, aber die einzige Möglichkeit, sich von dieser Stadt