Von Julius Deutsch Wien, 10. Juni (SK). Nicht von den großen Fragen der Politik soll diesmal gesprochen wer den, sondern von den kleinen Dingen der Verwal tung. Es soll an einigen Beispielen des täglichen Lebens gezeigt werden, wie sich das System, nach welchem jetzt unter den alliierten Mächten Oesterreich regiert wird, für den einfachen Mann aus dem Volke bewährt. Es sind Beispiele aus mei ner persönlichen Erfahrung, für die ich in allen Einzelheiten einstehen kann, weil ich sie selbst erlebt
habe. Zu mir kamen vor einigen Wochen zwei alte Frauen, deren Söhne — es sind frühere Schutz bündler — ich seit vielen Jahren kenne. Die bei den Frauen waren von ihren Söhnen, die es in Schweden zu guten Stellungen gebracht haben, eingeladen worden, nach Stockholm zu kommen, um dort einen ruhigen Lebensabend zu verbringen. Die schwedische Regierung hatte das Visum er teilt, die schwedische Hilfsmission, die gegenwär tig in Wien weilt, war bereit, die beiden Frauen mit einem ihrer Autos mitzunehmen
etwas einzuwenden hat, eine Reise von Wien nach Stockholm zu ermöglichen. Nun ein umgekehrter Fall: Ein Wiener Kauf mann, der von den Nazis nach Schweden geflüch tet ist, will in seine Heimat zurückkehren. Er hat insoferne Glück gehabt, als seine Familie noch in Wien lebt, sein Geschäft besteht und sogar seine Wohnung unbeschädigt ist. Also alles in Ordnung? Nein. Die österreichische Regierung hat zwar selbstverständlich seiner Rüdereise zugestimmt, aber es ist ihm außerdem noch die Einreiseerlaub nis der vier
und ebenso wenig kann ein Oesterreicher ohne ihre Zustimmung das Land verlassen, was prak tisch bedeutet, daß Oesterreich hermetisch von der Welt abgeschlossen ist. Dabei handelt es sich hier keineswegs um eine Emigrantenangelegenheit. Es handelt sich viel mehr um ein wichtiges Problem unserer Volks wirtschaft. Es kann kein Kaufmann, kein Gewer betreibender etwa von Wien nach Prag oder Brünn fahren ohne eine ausdrückliche Bewilligung der Besatzungsmächte. Eine solche Bewilligung zu erlangen erfordert
, die die meisten Briefe ohne jeden Grund wochenlang aufhält. Ein Brief von Oesterreich in eines seiner Nachbarländer braucht vier bis sechs Wochen — wenn er überhaupt ankommt. Vierzehn Monate nach dem Einzug der Befrei ungsarmee in Wien sind also selbst gewisse ele mentare Voraussetzungen des Wiederaufbaues noch nicht vorhanden. Denn es ist klar, daß die künstliche Abschnürung des kleinen Oesterreichs zu seinen Nachbarn jede Erholung des Landes im Keime ersticken muß. Dazu kommt: In Wien gibt es kein einziges