zu glauben? Und Millionen und Abermillionen, ja im Grunde alle Menschen hätten dieses Bedürfnis? — Hier scheint uns eine Einschränkung not zu tun. Aus jedem guten Geschichtswerk kann man sich darüber belehren, daß die Religionen ursprünglich entstanden find aus dem Bedürfnis nach Schutz gegen die Naturgewalten und nach Erklärung übergewaltiger Natur ereignisse. Der Mensch der Urzeit, der hilflos und kenntnis los den Erdbeben, Sturmfluten, feuerspeienden Bergen u. s. w. gegenüberstand, nahm an, daß böse
die eine Hälfte ihrer Aufgabe, die Erklärung der Natur ereignisse, mehr und mehr an die Wissenschaft hat abtreten müssen. Wie aber steht es mit dem Schutz gegen Gefahren, gegen welche die menschliche Kraft nicht ausreicht? Einen Teil davon hat ja wohl auch die Wissenschaft übernommen. Aber bei weitem nicht alle. Dazu kam, daß mit dem verfeinerten Zu sammenleben der Menschen neue Gefahren entstanden, von denen der Urmensch noch nichts wußte, nämlich die Gefahren sozialer Natur. Gegen Sturmfluten lernte
man mit vereinten Kräften Dämme aufführen, aber gegen Not, Elend. Armut, die aus der Art und Weise des sozialen Zusammenlebens entspringen, hat die Wissenschaft, kaum in unfern Tagen begonnen, Mittel zu suchen. Das Bedürfnis nach Schutz gegen solche Gefahren datiert aber auch schon aus dem Altertum. Und es ist sicherlich eine der wichtigsten Ursachen für die rapide Ausbreitung des Christentums, daß dieses — im Gegensatz zu den alten heid nischen Religionen — die soziale Not zum Hauptgegenstand seiner Sorge
machte. Die alten Religionen waren Natur religionen, das Christentum war von Anfang an mit allem Nachdruck eine soziale Religion, eine Religion für die Armen und Unterdrückten, denen es Erlösung von ihrer Not im Jenseits versprach. Also die Wissenschaft war Jahrtausende lang nicht im stande, das Bedürfnis nach Schutz und Erlösung, das die Volks massen wirklich empfinden, voll zu befriedigen. Sie ist auch heute noch nicht dazu imstande, ja, sie wird es vermutlich niemals sein. Denn je mehr
uns die Wissenschaft Schutz gegen Gefahren? Indem sie die Ursachen der uns gefährdenden Vorgänge aufdeckt, so daß wir Mittel dagegen ergreifen können. Demnach: sobald einmal sistgestellt ist, daß der allergrößte Teil des Weltganzen unserem Wissen ewig unerreichbar bleibt, so folgt daraus, daß uns die Wissenschaft allein niemals die unerschütterliche Gewiß heit g?ben kann, daß die Welt „gut" eingerichtet ist, das heißt so, daß sie dem Denken und Fühlen, dem Sinnen und Streben des Menschen günstig