Seite 2 Mer««er Zeitung. Nr. 21 erregenden unserer Zeit aufräumt, dieses alberne Parlament mit seinen Pöbelmanieren hinwegfegt und mit starker Hand jenen Aufgaben zusteuert, die unsere Zeit an die Oberfläche geworfen hat. Dieses versumpfte, aktionsunsähige Oesterreich hätte jetzt, wo Rußlands Hand durch die wirthschaftliche Misere gelähmt ist Gelegenheit, einmal agil zu sein, seinen Einfluß im Osten zu stärken; es könnte seine wirthschaftliche Nolhlage mit einer praktischen Drainage zu heben
wir eine solche Hand nehmen? In Oesterreich, wo man seit Jahren daS Heran wachsen von Talenten mit dem rücksichtslosen Pri vilegium des AdelSprädikates systematisch verhindert hat, wo ein neues Regime immer nur eine neue Dummheit bedeutet, wo man über den Froschmäuse krieg zwischen „Heilo' und >Nc6eMe se« nicht hinauskommt! Es ist nicht daran zu glauben, daß nian im Ministerpalais auf dem Judenplatz diesmal gerade etwas Gesundes ausklügelt; wenn etwas kommt, so wird es etwas sein, was die vergessene Form
nur abenteuerlicher gestaltet, etwas, was neuen Haß, neue Zwietracht säet und einen Ausgleich der erhitzten Gemüther unmöglich macht. Man hat sich in Oesterreich nachgerade daran gewöhnt, den sogenannten Parlamentarismus als Deckmäntelchen der verfassungsmäßigen Selbstherrlichkeit zu ver wenden, daß man diesen theuren Lendenschurz nicht mehr entbehren kann. Staatslenker Thun wird nach wie vor darüber nachdenken, wie er sich eine Majorität schaffen könnte, die ihm zu Diensten steht, er wird mit den Tschechen
, um in absehbarer Zeit zu einem leidlichen nationalen Frieden zu gelangen und so endlich die Bahn frei zu bekommen für andere Arbeiten. Die Uneinigkeit war von jeher ein Erbübel der Deutschen, und auch in Oesterreich hutdigen sie ausgiebigst diesem Hange zur Uneinigkeit. Die Gegensätze zwischen den verschiedenen Parteien sind so groß und tief, daß eine Vereinigung aller Deutschen Oesterreichs auch nur zum Zwecke nationaler Vertheidigung unmöglich erscheint. Aber warum sollte dies nicht möglich
einig sein können ohne Unter schied der Parteistellung für irgend ein Landes- intereffe; wenn alle Bürger einer Stadt ohne Par teiunterschied einig sein können in einer städtischen Angelegenheit: warum sollten die Deutschen Oester reichs nicht einig sein können in der großen natio nalen Frage? Diese Frage aber lautet: Wie läßt sich der Besitzstand der Deutschen in Oesterreich für die Zukunft möglichst sichern, und wie läßt sich die deutsche Sprache insoweit als allgemeine Vermitt- lungösprache gesetzlich normieren, inwieweit