das angerichtet hatte. Edda begriff nicht, wie es möglich war, einen Menschen bis über den Tod hinein zu hassen. Ihr waren die Gründe, die Ettinger veranlaßt hatten, die Mutter und sie so kärglich in seinem Testament zu bedenken, gänzlich unbekannt, aber selbst dann, wenn dem Verblichenen die häßlichsten Motive dabei vorgeschwebt hätten, besaß die Mutter doch kein Recht, ihren Empfindungen so hemmungslos freien Lauf zu lassen. Wieder, immer wieder öffnete sie das Fenster und schaute die mattbeleuchtete Straße
weiter. Als Edda sich umwandte, gewahrte sie in einem Fenster des Erdgeschosses Licht. Das überraschte und beglückte sie zu gleicher Zeit. Die Parterrewohnung wurde von einem entfernten Ver wandten, einem Vetter ihrer Mutter, bewohnt, und im allge meinen ging Arne Hansen, der sonst über Sommer als Photo graph über Land fuhr, zeitig schlafen. Sie hatte eine gewisse Scheu vor dem einsilbigen Manne und wäre nie auf den Ge danken gekommen, zu ihm zu gehen, um seinen Rat zu erbitten
. Aber als sie jetzt den Lichtschein gewahrte, erschien ihr das wie ein Wink des Himmels, und sie zögerte keinen Augenblick, auf das Fenster zuzulaufön. Der Vorhang war zugezogen, aber er ließ an der linken Seite einen schmalen Streifen frei, durch den Edda ins Zimmer schauen konnte. Zuerst gewahrte sie nichts Besonderes, doch dann erblickte sie auf einem Sessel die zusammengekauert sitzende Gestalt einer schwarzgekleideten Frau, die zu schlafen schien. Eddas gekrümmter Zeigefinger, bereit, an die Scheibe zu klopfen, entspannte
an den Holzperlen der Halskette. Den Kopf hielt sie leicht seitwärts geneigt. Der Ausdruck ihrer gelblich-blassen Züge war schwer zu deuten. War Edda zuerst von ihrer Ueberraschung völlig gebannt worden, so ergriff jetzt ein anderes Gefühl von ihr Besitz. Sie spürte heiße Freude, die Mutter am Leben zu sehen, und konnte sich darüber hinaus eines starken Mitleids für sie nicht erwehren. Sie trommelte gegen die Scheibe, und als drinnen die Frau zusammenschreckte und in einem Anflug höchster Angst zum Fenster