Das Licht im Jenster. „Ich will das Licht im Fenster brennen lassen, bis du heimkommst, Emil." „Tu's nicht, Mutter, es dürfte spät werden," entgegnete der junge Mann und trat mit einer ge wissen Unentschlossenheit unter die Türe. „Doch. Das Gäßchen ist finster und der Stum pen Licht wäre schlecht gespart, wenn du allenfalls fielest. Merke also, ich werde das Licht brennen lassen, bis du zurückkommst." Es war eine gesunde kräftige Schottin, die, während sie mit dem Sohne sprach, emsig zu bügeln
fortfuhr, und die fertige Wäsche, weiß wie frischge- sallener Schnee, in einen großen Korb neben sich legte. Im Zimmer befanden sich noch vier Kinder, zu jung, um etwas zu verdienen, Emil aber zahlte achtzehn Jahre und war ein hübscher, lebensfroher Bursche. „Wenn er nur ernster und gesetzter wäre," seufzte die Mutter oft, er aber beachtete den stillen Kummer der Witwe nicht. Tag für Tag lungerte er mit den anderen Jungen am Strande herum, erwartete die ankommenden Boote oder warf Steine ins Wasser
, auf daß des Dorfes vierbeiniger Lieb ling, der große Neufundländer „Sultan", sie appor tiere. All' das sei nichts Schlimmes, meinte die Mutter, abends aber gestattete sich der Dinge Gang anders, und mit klopfendem Herzen lauschte die ehr bare Witwe den Schritten des Sohnes, weil sie stets fürchtete, er möchte einmal, gleich des Guts herrn Söhnen, zu viel trinken. Als sie aber Emil an diesem Abende so jugendfrisch und blühend unter der Türe stehen sah, erleichterte sich ihr Herz, und die gute Frau flüsterte
vertrauend: „Eines Tages wird er gewiß zur Einsicht kommen und mir bei Er ziehung der Kinder eine Stütze sein." Und so bügelte sie fort, bis ihr Tagewerk voll endet, und stellte dann ein Licht ins Fenster, auf daß eS dem Sohne den dunklen Pfad der Heimkehr erhelle. Die Kerze brannte ab und-erlosch flackernd, aber kein Emil erschien auf der Schwelle des be scheidenen Hüttchen: Emil Cameron, so hieß die Familie, war durchgegangen, kein Mensch wußte wohin. Das Leben zu Hause erschien ihm zu hart, der Mutter
wachsames Auge ärgerte ihn, und so ver ließ er das heimatliche Dach, um seinem Willen zu folgen, seinen Weg zu gehen; nie aber vermochte er sich die Worte aus dem Sinne zu schlagen: „Ich werde das Licht brennen lassen, bis du zurück kommst, Emil." Die vage Hoffnung schließlichen Reichtums, der Gedanke, unter günstigen Verhältnissen den Seinen eine Stütze werden zu können, mochte ihm vor schweben, seinen Entschluß beeinflussen, dennoch aber blieb der selbstsüchtige Wunsch, der mütterlichen Auf sicht