Nummer 9 Wochenbeilage der Sozialistischen Jugend zur „Volkszeitung" für den Inhalt verantwortlich Chefredakteur Ludwig Klein, Maximilianstraße 7. Jahrgang 1 Otto Bauer und die Jugend In der Nacht vom 4. auf den 5. Juli 1938 starb Otto Bauer in Paris im Exil, Es ist eine fast unlösbare Aufgabe, der Generation von Jugendlichen, die Otto Bauer niemals gehört, die nie eine Zeile von ihm gelesen hat, die das Erlebnis nicht kennt, bei ihm in die Schule zu gehen, begreiflich zu machen, wer
weniger in der Tages politik als in der Anwendung des sozialisti schen Gedankengutes auf die große Linie der Arbeiterpolitik lag. Einen Hochschullehrer des Volkes. Einen Abgeordneten, einen Re dakteur, einen Redner, einen Gelehrten, der selbst in der Hetzjagd der Tagesarbeit immer Zeit fand, weiter zu lernen und weiter zu lehren. Einen Politiker von Unerbittlichkeit und Konsequenz, um derentwillen sich im mer wieder die Geister erhitzten. Denn Otto Bauer war kein Mann der mittleren Linie. Er ward
streng in seinen Forderungen, weil er vor allem streng war gegen sich selbst. Aber sein Wesen hatte auch eine andere Seite: Sprach er zu einem Arbeiter, zu einem jungen Sozialisten, dann leuchtete etwas in den dunklen Augen auf, die scharf geschnit tenen Züge wurden von einem Lächeln gelöst und der Führer verwandelte sich in den Vater. Die Jugend in die Idee des Sozialis mus einzuführen, sie mit der Moral der Ar beiterbewegung zu erfüllen, war eine Auf gabe, die seinem Herzen am nächsten stand. Otto
, daß kein einziger seiner Schüler das demütigende Gefühl hatte: ,,Das ist mir zu hoch. Da komme ich nicht mit." Seine jungen Hörer wurden durch ihn vielmehr erst recht wissensdurstig. Sie woll ten mehr und immer noch mehr erfahren über das, was ihnen bisher nur das große Frage zeichen gewesen ist. Und so lernten sie allein weiter. Das war ihr Dank an den Lehrer Otto Bauer. Ihr mögt es nicht glauben, und doch ist es so: Es gibt eine Führerschaft, die nicht durch Zwang entsteht, sondern die aus dem Vertrauen
erwächst. Es gibt eine hingebungs volle Verehrung, die dennoch nichts zu tun hat mit Vergöttlichung. Die Begeisterung, die Otto Bauer weckte, hatte nichts mit Hurra gebrüll zu tun. Die Menschen, die ihm in Massen zuströmten, verwandelten sich nicht in eine uniformierte, seelenlose Gleichheit. Im Gegenteil: Ihr Menschentum vertiefte sich, denn sie entdeckten durch ihn neuen Reichtum in sich selbst. Das ist Otto Bauers Einfluß gewesen. Er wußte: Das beste Lehrbuch, der schönste Vortrag, die gelungenste