M. Jurinek in München. Ach, wie oft bin ich nicht in dieser Woche vor jenem Hause in Münchens armseligem Viertel vorbeigegangen, in dem der Dichter Martin Greif bis zum 1. März schuf und litt. Schaute wie traumverloren zu jenen Eckfenstern im dritten Stock empor, hinter denen der Dichterkopf einst den Blick hinaussandte auf den blau enden Himmel, denn das Treiben da unten auf der Straße war nichts für ihn, der zeitlebens dem Alltag entrückt und auch bis zum Tode entrückt blieb. Als Martin Greif das Ende
nahen fühlte, da raffte er sich mit dem schwachen Reste seiner letzten Kräfte auf und entfloh der Großstadt, um im idyllischen Kufstein, den Blick auf die wetterfesten, unbeugsamen Bergesriesen geheftet, für alle Ewigkeit einzuschlummern. . . Und seine Lippen hauchten erblassend die Worte: „Ich komme, ich komme ..." Ach, und sinnend stand ich vor dem Hauseingang und konnte es nicht glauben, daß wir Martin Greif nicht mehr haben, daß ich nicht jene drei Treppen hinaufeilen werde, um am Krankenlager
zu weilen und für einige Stunden wenigstens Humor in die vier Wände zu bringen, die sonst tagaus, nacht ein nur das leise Klagen und Schmerzensseufzen eines totkranken Dichters vernahmen. Verlassen und ver einsamt ist fortab jenes stille Poetenstübchen, von der Tür wird man das Schildchen abgerissen haben, das die Worte zeigte: „Herrmann Frey, genannt Martin Greif." Die Zimmer werden an irgend einen zimmer- mission bearbeiteten Zusammenstellung die erste offizielle Publikation. Darnach besitzt Tirol
wird mit der Aus rottung der Ratten begonnen. suchenden Junggesellen weiter vermietet werden, die alten Möbel, Stücke noch von Martin Greifs Eltern, werden ihre Liebhaber finden, in wenigen Jahren, vielleicht schon in wenigen Monden wirb allüberall ver gessen sein, daß hier inmitten der Mietskasernen und des schlichtesten Kleinbürgertums, in der Heßstraße, Martin Greif gelebt, gedichtet und gelitten hat . . . In diesen Tagen ging wohl ein Wehklagen durch Münchens literarische Welt, da schien es, als ob München Zähren
ich, daß auch mein Tod wohl um einige Jahre zu spät kommt." Wenige Tage vorher hatte mir Martin Greif eine Art „literarisches Vermächtnis an seine Zeit" zur Ver öffentlichung übermittelt und mich gebeten, die Feier lichkeit dadurch fernzuhalten, daß ich seine Worte in Form einer Plauderei, eines zwanglosen Zwiegespräches der Tagespresse übergebe. Damals erlebte ich das Betrübende, daß ein führendes Blatt mir mitteilte: „Ach, was sollen wir mit Martin Greif anfangen, er ist ein alter Mann, der längst abgetan