Seite 12 OER STANDPUNKT 0. April 1949 — . lineue bücher/ij Kriegsjähre im Süden Wer heute, einen Roman schreibt, der ln Neapel spielt, hat einen grossen Maass stab zu fürchten. Denn Werfels «Geschwl- ste von Neapels sind noch immer lebendig, unvergessen und endgültig als Lebens- und Menschenbild dieser Stadt grimmer Fami lientyrannei und seligen Gehenlassens. Das war ein breiter, ruhiger Strom des Erzäh lens voll gütigen Humors, versöhnlicher Tragik und trefflicher Beobachtung
, ln dem nicht nur die Individualitäten von sechs Geschwistern und ihres Vaters, sondern eine Fülle von Nebengestalten gemeistert wurden. Also hat es Stefan Andres nicht leicht, in seinem neuen Roman, «Ritter der Gerechtigkeit» (Sclentia - Verlag, Zürich), mit einer einzelnen Hauptfigur, Fabio. dem idealistischen Sohn eines opportunistischen Advokaten, seinem zynischen • Freund und Gegenspieler Dino. der das Räuberhand werk ergreift, und dessen Onkel, dem Fürsten A., der die altliberale Tradition verkörpert, etwas Neues
zur Literatur über Neapel beizusteuern. Neu ist allerdings der Hintergrund; denn war Werfels Roman ein Friedensbild der Stadt, so spielt die Hand lung dieses Buches während der Kriegs ereignisse der Jahre 1943-44 und gibt daher Auskunft über die Frage, wie sich das nea politanische Naturell zu den Wechselfällen des Kriegsglückes verhalten hat. Da weiss nun Andres eine Menge launiger, bitterer, auch rührender Dinge von grösseren und kleineren Menschenwesen, von Deutschen, Italienern, Schotten zu erzählen
, die be weisen, dass sich sein Erzählertalent »eit seinem letzten Roman, «Die Hochzeit der Feinde», abermals erfreulich gelockert hat. Weniger überzeugend ist Andres wieder um da, wo er die Handlungsweise seiner Hauptdarsteller, der «Ritter der Gerechtig keit», psychologisch konstruiert: Dlno, der unter dem falschen Verdacht, ein weiss es Forzellanpferdchen gestohlen zu haben, zu einem Räuberhäuptmann Franz Moorscher Prägung, wird; der Fürst, der, aus seinem Palazzo ausgebombt, in das berüchtigte Hospital
der «Unheilbaren» übersiedelt. Fabio, der wahrhaft Gerechte, hält dis vernünftige Mitte, bleibt aber etwas blass. Dochwesentlich ist. im ganzen gesehen, der fühlbare Fortschritt zur lebendigen Charakterisierung und zu einem freien Er zählerton, den wir ln unserer Besprechung der «Hochzeit dter Feinde» als möglich und wünschenswert erhofften. Vielleicht wür den sich diese Qualitäten in einem näch sten Roman, der im Gegensatz zu den bis herigen des Autors einmal nichts mit Krie gen zu tun hat, noch wohltuender