,Vozner Nachrichten.' Donnerstag, den 24. Mai 1917. Nr. 1U Zunächst verzweifelt aus der Hand legen und am liebsten die Hoffnung aufgeben, sich von Oesterreich ein klares Bild und sich damit über Oesterreich ein klares Urteil zu gestalten. Indes ist gerade diese Wirkung, wenn auch vielleicht nicht gerade gewollt, so doch sicher recht heilsam. Denn sie Zwingt uns, von den hergebrachten Schlagworten einmal völlig abzusehen, und das, was wir schon als geistiges Eigentum erfaßt zu haben glaubten
, wie etwas Neues von Anfang an durchzudenken; sie Zwingt uns, wenigstens einstweilen auf deutsche Fragestellungen Zu vergessen und österreichische Angelegenheiten mit österreichi schen Augen zu betrachten und, soweit das möglich ist, mit öster reichischen Herzen zu erleben. Sehr bald werden sich dann auch ein paar feste Tatsachen und Begriffe aus dem bunten Vielerlei loszulösen beginnen. Vor allem der Grundgedanke, daß zwar vieles in Oesterreich proble matisch, daß aber Oesterreich selbst als Staat
, in dem leidenschaftlichen Aufschrei des Ukrainers Kyrylo Trylowskyj und in den kühlen Darlegungen des Tsche chen Zdenek Tobolka. Sie alle, mögen sie sich sonst bis aüss Blut befehden, erwarten doch alles von Oesterreich und alles durch Oesterreich, und sie alle erwarten in Oesterreich alles von der Monarchie. Auch zerstört würde Oesterreich, nach ihrer An schauung, immer wieder aufs neue erstehen, weil die mitteleuro päischen Kleinstaaten, die es bilden, sich, ringsum bedroht, immer wieder zum Verbände
zusammenschließen müßten. Die logisch einfachste Lösung des österreichischen Problems, die Aufteilung Oesterreichs unter seine Nationalitäten, der Lieblingsgedänke unserer Feinde, erscheint demnach als die praktisch unmöglichste. Aber nicht nur aus dem negativen Grunde, weil es nicht zer fallen. kann — Oesterreich besteht auch und mehr noch aus-dem positiven, weil es nicht zerfallen darf. Denn wie jeder große eu ropäische Staat, so besitzt auch die Habsburger Monarchie eine geschichtliche Mission
und Tschechien dies Einheitsmo ment, diese historische Mission direkt oder indirekt anklingen lassen: „Vereinigung der kleinen Völker des Donaubeckens un ter gemeinsamem Dache' und Gerechtigkeit gegen diese kleinen Völker. Nicht nur sich dient „Oesterreich als paritätischer Natio nalitätenstaat'. sondern Europa: „das österreichische Problem ist das europäische Problem aus dem völkerrechtlichen ins staats rechtliche übertragen.' Freilich, sobald wir nun von Art und Zweck dieser Mission zu den Formen