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Bozner Zeitung
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Seite 2 von 4
Datum: 26.05.1887
Umfang: 4
!' Die Diakonissin hatte Kölnisches Wasser mit gebracht ; Julius befeuchtete mittelst der Finger spitze die Stirn und den Scheitel feiner Pflege befohlenen, deren Kräfte durch Sprechen und Aufregung völlig erschöpft schienen. Er sah, daß ihre Augenlieder schwer hc^ sanken und daß ein zufriedenes Lächeln die Mundwinkel umspielte — hatte er sie magnetisirt? Ganz allmählich wurden die Athemzüge tiefer und ruhiger; das Herz unter semer linken Hand pochte nicht mehr so rasend, ungestüm, und als er unmerklich

— dieser Schlummer war für das arme Mädchen eine große Wohlchat. Das Rollen der Räder Wurde zum Wiegenlied. Die Diakonissin und Julius blieben stumm. Beide waren viel zu sehr mit eigenen Gedan ken beschäftig, um sich einer oberflächlichen Con- versation hinzugeben. Die Stunden verarmen, und schon nach kurzer Frist mußte der Zug sei nen Bestimmungsort erreicht haben. Julius sah die Thürme der Stadt und die abendlich beleuchteten Dächer der höheren Ge bäude, die Vorstädte tauchten auf aus ihrem Bette von jungem

gewesen. Sich mit heimlichem Seufzer der Blinden zu wendend, sah er. daß ihre weit offenen Augen voll Furcht den Blick der seinen zu suchen schienen. „O,' flüsterte sie bittend, „ich bin Ihnen lästig geworden! — Schlief ich?' Julius zwang sich zur Ruhe. „Während der ganzen Fahrt!' versetzte er freundlich. „Das thut Ihnen gut, Fräulein Herbst. Bitte, lassen Sie mich vorangehen.' Er sprang aus dem Koüpee und nahm das junge Mädchen in seine Arme, um sie dann der Diakonissin wieder zu überliefern. „Beste Julie,' sagte

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Bozner Zeitung
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Seite 1 von 4
Datum: 26.05.1887
Umfang: 4
, ja wenn sie überhaupt im Hause eine dritte Person dulden sollte? — Es ist besser, ich bleibe bei irgend einer anderen Familie — das heißt vorderhand. Später findet sich das alles, nicht wahr.' Julius erröthete, wie ein ertappter Schulknabe. Und dieses Mädchen nannte Elisabeth ohne Weiteres eine Betrügerin! „Wie Sie wollen, Fraulein, Herbst,' antwor tete er gerührt, außer Stande, sie in sein häus liches Elend hineinsehen zu lassen. «Ich sage mit Ihnen: später findet sich das Alles. Die polizeiliche Erlaubniß

— sie mußten sich beeilen, noch Plätze zu erhalten. Gerade als Julius das junge Mädchen ins Koupee hob, pfiff die Lokomotive, und er fühlte, wie sie in seinen Armen zusammenschauerte. Das kindlich reizende Gesichtchen war schneeweiß geworden - sie zitterte heftig. Neben ihr sitzend behielt er sie noch in seine Arme geschmiegt; ihr Herz pochte wie mit Ham merschlägen. . . „Es war der Schreck,' flüsterte sie ent, Huldi gend, „die Erinnerung an das plötzliche Unglück von damals! — O es ist doch schauerlich

allein zu sein in der grauenhaften, gespenstischen Nacht!' Julius zog voll Erbarmen die zarte Gestalt fester an seine Brust: er that es ohne Berech nung, unwillkürlich aus innerstem Herzen heraus. „Sie sind nicht allein, Fräulein Herbst — ich bin bei Ihnen und werde sie beschützen, soweit es in eines Mannes Kräften steht.' Um den kleinen, blassen Mund zuckte es, als kämpfe das arme Kind mit verhaltenem Weülen. „Ich möchte Ihnen nicht gern wie eine Thörin erscheinen Herr Doktor — bitte halten

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