Anschauung und Kenntnis der Hochgebirge Tirols vor dem Erwachen des Alpinismus
22 Otto Stolz im Gebiete dss Dorfes Tirol, das am südlichen Ausgangs des Passeiertales liegt, mehrere Weingärten in Wiesen verwandelt, „weil wegen der Fernerluft das Weingewächs dortselbst nicht reifen will'. Diese Begründung scheint mittelbar zu besagen, daß der kühle Wind, der von den Ötztaler Fernern durch das Passeiertal herabstreicht, stärker als früher geworden sei und dies wegen des Anwachsens jener Ferner. Die Chronik von Schnals berichtet geradewegs, daß sich im Jahre 1539 der erste
Ferner am Niederjoch angesetzt und eine merkbare Erkältung der Lust durch das Schnalser Tal hinab bis in die Gegend von Meran bewirkt habe. Freilich war das Anwachsen der Gletscher selbst eine Folge einer allgemeinen Änderung des Klimas und so kann diese auch die Durchschnittswärme in den niederen Lagen unmittel bar herabgedrückt haben. Auf solche allgemeine Verschlechterung des Klimas geht es wohl zurück, wenn im inneren Attentale früher noch Weizen gebaut wurde, später nicht mehr
, da die Gegend von Jahr zu Jahr wilder wird und durch Zunahme der Ferner Vieh, Güter und Waiden verwildert und verdorben werden^).' Aber auch aus einem anderen Teile Tirols, der Silvrettagrupps, wird um diese Zeit eine starke Zu nahme der Größe und Zerklüftung der Gletscher gemeldet. Die Gemeinde Steinsberg oder Ardez im Anterengadin war seit alters Eigentümerin der Weiderechte und der Alm im Vermonttals, das jenseits des Gebirgskammes liegte. Laut eines Schreibens des Pflegers von Nauders, dem damals
das Llnterengadin und innere Patznauntal unterstand, vom Jahre 1695, war der Auftrieb von Steinsberg bisher über einen „Höchen, wilden, beschwerlichen und unsicheren Glötschner oder Verner' erfolgt; es war dies wohl der große Vermontferner, der über den Vermontpaß direkt von Steinsberg ins Vermonttal führt. Wie nun jenes Schreiben fortfährt, fei der Gebrauch dieses Überganges „nunmehr aus diser Arsach unrnüglichen, dieweil diser Gletschner oder Ferner von Zar zu Zar, je lenger, je mehr nit allain wilder, kelter
vom Jahre 1599 mußten sie von der Alpe Puel (Pillerhöhe im Vermonttal) über den Ferner heimfahren, obwohl sie „große Gefar und Verlust des Vihes auf den Fernern' befürchteten. Am diese zu bannen, haben sie „eins Kaserin oder Tagen (Taia, Alm hütte), so mit Prättern bedeckt gewesen, abgedeckt und über die Ferner und un sichern Ort Pruggen (Brücken) geschlagen und sind also mit dem Vihe one Schaden hinüber gefaren'. An sich war der Viehtrieb über den Gletscher nichts Besonderes, er wurde z. B. regelmäßig