¬Die¬ Südtiroler Frage : Entstehung und Entwicklung eines europäischen Problems der Kriegs- und Nachkriegszeit
302 XL TOLOMEIS VERWELSCHUNGSPROGRAMM das nach seiner Rechnung bald die Herrschaft an sich reißen würde. Im Herbst 1928 erschien General Capello, der schon an der Re kognoszierung des Vorjahrs beteiligt gewesen war, in Berlin» und indem er mit Kreisen in Verbindung trat, die er als die Führer einer deutschen Faschistenbewegung ansah, gab er deutlich kund, daß Mussolini eine militärische Verbindung mit Deutschland wünsche, um mit ihm im Bunde sich gegen Frankreich zu wenden, das Italien
die Ver handlungen zum Scheitern. Niemand war gewillt, die Verantwor tung für ein Abenteuer zu übernehmen, bei dem Italien nichts, Deutschland aber alles riskierte, und dessen Ausgang durchaus un- sichei war. Ebenso plötzlich wie die Kombination eines deutsch- italienischen Zusammengehens aufgetaucht war, bei dein Südtirol eine so eigentümliche leidende Rolle spielen sollte, verschwand sie wieder, und es gehört zur Sprunghaftigkeit der italienischen Po litik faschistischen Gepräges, daß Mussolini
im Frühjahr 1924 jäh wieder das Steuer wendete. Die Freundschaftsverträge, die er zu Beginn des Jahres mit Südslawien und der Tschechoslowakei ab schloß, deuteten den neuen Kurs an. Die Front gegen Frankreich hielt er zwar bei alledem aufrecht, aber an die Stelle wohlwollender Annäherung gegenüber Deutschland trat kühle Zurückhaltung. J a in Verbittdung mit der sich allmählich geltend machenden schroffen Kritik an der Drangsalierung Südtirols, leitete er nun doch noch die Beschlagnahme des reichsdeutschen