Neue Fragmente aus dem Orient.- (Gesammelte Werke ; 1)
Vier Wochen in Jerusalem III. 125 die hainbekränzten Höhen, Lustgärten mit dunkelrother Granaten- blüthe, von Buschwerk eingerauktes Rebgelände, unter Laubdickicht Bersteckte Maierhöse, frischen Quellensprudel, oder den noch zu König Ezechias Zeiten mitten durch die Heilige Stadt rauschen den perennen Wasserbach sucht natürlich heute Niemand mehr in Jerusalem. Leicht ist es aber dennoch nicht ein treues Sommer bild der Steindürre, der Verlassenheit und Oede dieser einst so wonnevollen Stadt
zu malen, Sichem (Nabolus), die schmutzigste — aber zweitgrößte und verhältnismäßig wohlgebauteste Stadt Palästinas mit ihren hohen Steingebäuden und schiefergrauen Dachkuppeln, liegt in einem quellenreichen, üppig grünen, mit Gärten angefüllten Hochthale, und die lustigen Berggipfel der Nachbarschaft sollen eine Höhe von dritthalbtausend Fuß über dem Wasserspiegel des Mittelmeeres erreichen, nebenher aber doch das Thal- Niveau um kaum achthundert Fuß überbieten, so daß zwei merkwürdige Städte
des Erdbodens, Sichem in Palästina und Derwischabad im Bojerlande, verwandt an Frömmigkeit und conservativem Sinn, auch ungefähr von gleicher Bodener höhung über dem Mittelmeere sind. Sagt man nun, der lustige, von der Stadt Jerusalem durch eine rasch abfallende enge Tief schlucht getrennte Höhenzug, den man in Europa den Oelberg nennt, sei gerade ebenso hoch wie die kahlen Berggipfel von Sichem und nur um etwa hundertundfünfzig Fuß höher als die sanft anlaufende, Jerusalem tragende Hügelschwellung Zion
, so müßte auch ein zahlenscheuer und mehr nach Unterhaltung als nach trockener Belehrung strebender Leser deutlich genug erkennen, daß die Heilige Stadt beinahe zweitausendundvierhundert Fuß über dem Wasserspiegel des Mittelmeeres liege, und daß man folglich von allen vier Weltgegenden, wie die Schrift sagt, nach Jeru salem „hinaufgehen' müsse. Aber in einer Landschaftsschilderung viel von Algebra und Pariser Fuß zu reden, wäre ohne Frost