Daß im Laien keine Bedenken in religiöser Hinsicht gegen die Unterstellung der Tiroler Abge ordneten unter das indifferente Wiener Partei- regiment wach werden konnte, wenn sein geistlicher Führer darin nicht nur etwas unverfängliches, sondern im Hinblicke auf die Zusammenschweißung einer großen und daher mächtigen Partei, sogar envas erstrebenswertes erblickte, bedarf keiner Be tonung. Wie der Interessengegensatz zwischen Großstadt und Land in wirtschaftlichen Dingen übersehen worden
war, so hatte auch niemand darauf ein besonderes Augenmerk gelegt, daß die Wiener in erster Linie Judengegner, Antisemiten, eine nationale Partei sind, und daß diese Tatsache in religiöser Hinsicht doch als ein sehr beachtens- werles Moment erscheinen muß. Man hatte über sehen, daß ursprünglich der deutschradikale Georg v. Schönerer mit Lueger und Liechtenstein in Wien am gleichen Karren gezogen hat und die christlichsoziale Partei auch heute noch einen sehr starken und mächtigen radikalen Flügel besitzt
. Bei seinen Leuten wurde die Befürchtung wach, daß die katholischen Abgeordneten die Wiener Antisemiten und Halbchristen zu sich herüberztehen und io die ganze christlichsoziale Partei langsam in eine katholische umwandeln könnten. Und das ist nach Wiener Begriffen etwas ganz schreckliches. Die Radikalen in der christlichsozialen Partei suchten des halb nach einer paffenden Gelegenheit, reinen Tisch zu machen, und diese bot sich ihnen vor einigen Wochen anläßlich der gründenden Versammlung des christlich
sozialen Vereines „Ostmark", bei welcher es be kanntlich zu sehr unerquicklichen Auftritten kam. Die Katholiken wurden bei dieser Versammlung von ihren christlichsozialen Brüdern als „klerikale Schweine" bezeichnet und als einige katholische Blätter gegen diesen unerhörten Vorgang Stellung nahmen, hielt das führende Organ der Wiener Christlichsozialen, das „Deutsche Volksblatt", den Moment für gekommen, um den Wiener Stand punkt recht augenfällig demonstrieren zu können. Es nahm jene Elemente
, welche bei der „Ostmark"- Gründung so schimpfliche Worte gegen die Katho liken gebraucht, in warmer Weise in Schutz und konstatierte, daß selbe während der Perioden des heißesten Kampfes der christlichsozialen Partei an- gehoct hätten. Nachdem daß Blatt hervorgehoben, daß die Wiener Christlichsozialen von den „Kleri kalen" eine ganze Weltanschauung trennt, sagte es weiter: „Die „Christlichsozialen" außerhalb Wiens, das Heißt jene Konservativen, die nach den Neuwahlen durch ihren Eintritt in die Partei auch deren