Schweizer Brief, in dem es u. a. heißt: Das Auffallendste, was mir Heuer in der Schweiz begegnete, war das Interesse aller Schweizer Volks kreise für die Entwicklung Österreichs. Sonst ist nämlich der Schweizer, besonders der Schweizer Bauer, kein Mensch, der sich um andere Länder viel kümmert- doch über die österreichische Entwicklung find sie voll fragender Neugierde. Vor zwei Jahren sagten mir alle Bekannten trocken ins Gesicht: „Mit eurem Österreich ist wirt schaftlich nichts mehr anzufangen,' heute
lobt man uns: „Jetzt steht das kleine Österreich ja schon fester auf den Füßen als das große Teutschland,' und ziemlich häufig hört man dazu die Bemerkung: „Euer Seipel ist ein kluger Kopf, daß er gegen alle andern Parteien vorläufig den Anschluß an Deutsch land verhindert hat.' Gerade in dieser letzten Bemerkung zeigt sich so recht deutlich der Grundsatz der Schweizer: Auf große Schlagworte oder großzügige Aktionen, deren Endwirkung man nicht übersehen kann, gehen sie nicht ein. Sie setzen
sich für Reformen, Wohlfahrt und Ordnung im kleinen Kreise ein und sind über zeugt, daß für das ganze Volk gut gesorgt ist, wenn es jedem Volksteile gut geht. Wenn aber ein großes Unglück kommt, ist es besser, wenn nicht das ganze Volk dabei unter die Räder kommt, sondern wenn einige Teile verschont bleiben. Man merkt es den deutschen Schweizern an, daß sie sich freuen, bei dem furchtbaren Niedergang Deutschlands Österreich ver schont zu sehen. Sehr interessant war mir, zu sehen, daß die meisten Schweizer