Nr. ^75 „Bozner Zeitung' (Südtiroler TazblatH Donnerstag, den 30. November 1906. — Die Flucht einer Nouue. In der letzten Zeit hat sich der Fall, daß eine Nonne aus dem Kloster fliichtet. häufig wiederholt. Der lettze Fall, der sich soeben in Madrid ereignet hat, ist so eigen- ortig, daß er Erwähnung verdient. Die Nonne Sor flüchteie bei Morgengrauen durch ein enges Fenster aus das Dach des Klosters und rief laut im? Hilfe. Bäcker und andere früh aufstehende Verkäufer hörten die Hilferufe
und suchten die Polizei. Da das Kloster sich in der Nähe eines Marktes befindet, sammelte sich bald eine unge heure Menschenmenge vor dem Kloster an. um das sonderbare Schauspiel zu sehen und zu kommen tieren. Von einem in der Nähe befindlichen Neu» bau wurde eine Leiter geholt und ein Polizist b<5 stieg sie. während ein anderer in das Kloster drang. Der Küster desselben wollte ihm nicht Einlaß ge währen. da ein Mann ohne Erlaubnis des Bi schofs das Kloster nicht beireten darf. Aber der Polizist kümmerte
sich nicht darum, verlangte viel mehr. daß man ihn unverzüglich aufs Dach führe. Man glaubte, daß die Nonne an der Dachrinne irrsinnig sei und Selbstmord beabsichtige. Es galt also, keine Zeit zu verlieren. Auf den: Dache Zu gekommen, umschnürte der Polizist die Nonne, die sich weigerte, ins Kloster zurückzukehren, mit einem Tau und ließ sie über die Dachrinne herabgleiten. Der aus der Leiter befindliche Polizist nahm die Nonne in Einpfang und stieg mit ihr unter dem Jubel der Menge die Leiter herab. Als beide
auf der Srraße ankamen, fand sich auch der Küster ein. der die Nonne zur Rückkehr ins Kloster zu bewegen suchte. Alle Versuche waren erfolglos, so daß er sich unterfing, Gewalt anzuwenden. Dos bekam ihm aber sehr schlecht, denn die Menge nahm Prw tei für die Nonne und schlug den Küster Windel weich. Man hätte ihn wohl gelyncht, wenn die Polizei sich seiner nicht angenommen und ins Kloster gebracht hätte. Die Nonne verlangte, auf das Polizeiamt geführt zu werden, um dort Auf klärung über ihre Fluch: zu geben
. Auf dem Po lizeiamt erzählte sie ihre Leidensgeschichte, die 27 Jahre gedauert hat. Sie behauptete, daß sie kör Perlich mißhandelt wurde, daß man zeitweilig ihre Nahrung verkürzte, sie oft vierzehn Tage lang bei Wasser und Brot erhielt und jetzt die Absicht hatie. sie in ein enges, dunkles Gemach zu bringen, und das alles, weil sie nicht genügend Geld herbei schaffte. Die Untersuchung wird hoffentlich Klar heit schaffen. Das Kloster behauptet, daß die ent flohene Nonne seit Jahren irrsinnig