I6S So verwundert der kleine Hans über das Schwesterchen war, das er bei seinem Erwachen neben sich fand, so erfreut war er, als sie zu gehen und endlich zu sprechen anfing, und als seine einzige und liebste Gespielin heranwuchs, mit ihm zu Schule ging, und deS Abends täglich mit ihm uiuer dem großen Apfelbaum saß, der an der Grenzmark der weiten Aecker, Wiesen und Weingarten seines VaterS stand. Doch nicht lange währte diese selige, frohe Kinderzeit! — Ach, wem ist sie nicht auch die liebste
in demselben Grade zu, als die Liebe des neunzehnjährigen Hans zur sanften, stillen, frommen Martha. Beinahe mit jeder Stunde wuchs diese unaus gesprochene, aber tief glühende Liebe in ihm bis zur verzehrenden Flamme, die sein innerstes Leben störend ergriff. Wie verschieden sind doch die Ausbrüche und Aeußerungen derselben Empfindung, stets nach der Brust geformt, in welcher sie entsteht; so wie der gleiche Saame in dürren Sand oder in üppigeS Erdreich gesäet, dort karg verwittert und hier zur reich sten Ernte
gedeiht. Durch romanhafte Verbildung und verzär telte Empfindelei wird die Liebe, dieser reine Diamant, der den Abglanz der Gottheit in sich tragt, in der gezierten Städterin zur verkrüppelten Berechnung, während sie in dem reinen Ge müthe der einfachen edlen Jungfrau zum schönsten Zweck ihres Lebens sich gestaltet. Hans war ein sonderbares Gemisch von der stürmischen Heftigkeit des Vaters und der frommen Ergebung seiner Mutter; seit er Martha liebte, waren alle Kräfte seiner Seele in ihr ver eint
beinahe der Schwere der ihr aufgebürdeten Arbeiten; da mußte sie viele harte Reden vom Vater Martin ertragen, er warf ihr ihre Herkunft, ihre Lage bitter und heftig vor; dies erregte in Hans eine Empfindung, die oft an stille Wuth grenzte. „Dich soll der Vater nicht mehr kränken, ich kann's nicht sehen, nicht ertragen/ sagte er oft zu Martha, die still weinend den Kopf an feine Brust lehnte, mit der Schürze die heißen Thränen abtrocknete, und ihn bat, ruhig zu sein; sie wisse wohl, für sie sei
nichts besser als der Tod; sie hätte Gott schon oft gebeten, sie bald abzurufen, denn zum schweren Dienst fühlte sie sich zu schwach; „ach! ich bin ja zu nichts auf der Well,' schluchze sie, „dort oben ging es mir besser; du darfst auch nicht um mich weinen, Hans; wenn ich todt bin, dann bin ich Niemand mehr zur Last.' Aehnliche Scenen wiederholten sich oft; der Unmuth des Vaters ward immer größer, besonders als die Liebe seines Sohnes zu Martha ihm klar wurde; endlich als er eines Tages sie wieder weinend