Leidensgefährten : Meraner Typen ; Novelle.- (Zwisslers Hausbibliothek ; 7)
180 - - Mann, der ihre Witwengefühle jetzt verstand, daß Sibylle, die den Brief lesen mußte, sich eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren konnte. Es fielen ihr unverstandene Andeutungen ein, die Betty machte, als sie das arme Mädchen zum letztenmal ge sehen hatte; sollte sie unsäglichem Unglück durch den frühen Tod entrückt sein ? Sibylle schalt sich selbst über die abscheuliche Ver mutung, die in ihr ausstieg. Aber als Frau Fleischmann bald in kleidsamer Trauer auftrat, die sie bedeutend
verjüngte, und alle alten Toilettenkünste geschickt entfaltete, als die Briefe des nicht mehr jugendlichen Assessors nicht seltner, sondern häufiger eintrafen, und sein Lob in endlosen Variationen aus dem Munde der redseligen Schwiegermama ertönte, war es nicht möglich, noch im Dunkeln zu bleiben über das, was sich vorbereitete. Die eitle Frau. war Sibylle unerträglich mit dem geheuchel ten Schmerz, hinter dem sie eine widerliche Gefühlsverirrnng versteckte. Freilich blieb sie eine sehr stattliche
Erscheinung, die üppige Gestalt zeigte Rubenssche Fülle mit blendenden Farben, aber die Nichtigkeit der Seele hatte sich den Formen ausgeprägt. Im Lauf der Jahre waren alle zarteren Regungen erstickt, und die gewöhnliche Gesinnung beherrschte das Spiel der Em pfindung. Um so enger schloß Sibylle sich an die zarte Frau Werner an, die sie gern aller Sorgen enthoben hätte. Aber zu den alten gesellten sich neue. Des Sohnes immer unverhüllter austretende Spielleidenschaft, die aus dein Wunsch nach Zerstreuung
