98 sich mit einem plötzlichen Entschluß Anna zu und nimmt ihre Rechte in seine beiden Hände. „O du blinder, guter, hartherziger Apostel der Pflichterfüllung! Ist dir denn nicht der Gedanke gekommen, daß du vielleicht besser für Lillis Zukunft sorgst, wenn du den Dingen ihren Lauf, und mich so viel als möglich in Lillis Ge sellschaft weilen läßt?" Anna blickt Emil fest in die Augen. „Willst du damit sagen, daß ich dich als einen Bewerber um Lillis Hand betrachten soll?" „Wenn es mir gelingt
sind, um aus sie hin von dem abzuweichen, was mir als die sicherste Bürgschaft für Lillis Zukunft erscheint." Emil fährt empor, als habe er einen Peitschenhieb erhalten, ist beleidigt, zornig, erstaunt. Ihm, der seit Jahren daran gewöhnt ist, sich mit rücksichtsvollem Respekt behandelt zu sehen, ihm sagt man geradezu, daß er unzuverlässig sei, ein Mensch, dessen Worten man keinen Glauben schenken könne. „Wie kannst du's wagen?" fragen seine flammenden Blicke, die Anna mit ruhigem festen An schauen erwidert, bis seine Augenlider
; willigt sie ein, die Meine zu werden, will ich sie i auf den Händen tragen, so lange ich atme. Glaub' mir, Anna, du kannst nicht besser für Lillis Zukunft sorgen, als wenn du sie meiner Obhut anvertraust. Willst du das tun? Mir freie Hand lassen, um ihre Liebe zu erringen? Jeden Tag kommt sie mir wärmer entgegen — Anna — teure Anna — zerstöre mein Hebens glück nicht!" Anna blickt nachsinnend vor sich nieder. Ihr disziplinierter Verstand ist fähig, alles, was Emil gesagt hat, gänzlich objektiv
auf seine Richtigkeit zu prüfen. Daß altes, längst begrabenes Weh : von neuem in ihrem Herzen wieder aufzuckt, darf sie nicht be irren. Nur an Lilli darf sie denken, nur das berücksichtigen, was Lillis Wohl am besten fördert. Das ist ihre Pflicht, und sie ist ' unfähig, nch durch ein persönliches Empfinden von einer Pflicht erfüllung abbringen zu lassen. Sie sagt sich, daß Emil recht habe, daß Lilli als seine Gattin besser vor den Fährlichkeiten des Lebens geschützt sei, als wenn sie auf sich allein angewiesen wäre
? Angstvoll blickt Anna zu Emil empor. „Du wünschest also, daß alles bleibt wie es ist, bis du Lilli genügend geprüft hast, ob sie einer innigen, dauernden Liebe zu dir fähig ist?" Emil atmet erleichtert auf, er sieht, daß er gesiegt hat. Und um Anna allen seinen Wünschen gefügig zu machen, sucht er auch den letzten Rest von Mißtrauen, den sie vielleicht noch gegen ihn empfindet, durch Nachgiebigkeit zu entwaffnen. „Wenn du es für besser hältst — wenn es dein ausdrücklicher Wunsch ist, liebste Anna