Einmal war es zur Aussprache gekommen zwischen Hedwig und Adele. Das geschah, als Adele die kleine Dora vom Spiel abholte. Da traf sie wie jetzt fast im mer die Arztensfrau mit verweinten und ganz v er schwol len en Augen. Mit warmem Mitleid ergriff Adele die Hand der klei nen Frau und drückte die zarte Gestalt mit sanfter Ener gie auf die weichen Kissen einer Ottomane, die in dem behaglich eleganten Wohnzimmer des Arztes stand. Dann setzte sie sich neben Hedwig. Der matte Schein einer großen
Hängelampe, die mit einem rosafarbenen Seiden- schirm verhüllt war, siel auf die blassen Gesichter der beiden Frauen. Färbte ihre Wangen mit zartem Rot, machte das fahle Gesicht Frau Hedwigs lebhaft und milderte die ernsten, fast strengen Zuge der blonden Adele. „Frau Hedwig,' sing Adele nun mit ihrer vollen, weichen Stimme zu reden an, „ich will nicht aufdringlich sein, will Sie nicht fragen um den Kummer, der Sie drückt. Aber ich will und muß einmal reden mit Ihnen- So oft ich Sie sehe
, haben Sie verweinte Augen. Immer weinen Sie. Das ist nicht recht l Und mag Ihr Leid auch noch so groß sein, Frau Hedwig, glauben Sie mir, auch das schwerste Leid gibt Kraft, macht stark! Man kann es tragen, wenn man nur will.' Hedwig Storf hatte bei der Rede AdelenS leise und still in sich' hinein geweint und ihr Gesicht mit beiden Händen verdeckt. „Ich kann mir nicht helfen!' sagte sie jetzt schluchzend. „Ich muß weinen, es drückt mich so! Wie eine Zentner last drückt's mich !' gestand die kleine Frau Zaghaft
. „Was drückt Sie so?' frug Adele und fuhr ihr leichter Hand über das dunkle Haar. Es lag etwas mütterlich Liebkosendes in der Art, wie sie die kleine, schüchterne Frau zu trösten versuchte. Sie hatte das bestimmte Gefühl, daß es Frau Hedwig guk tun würde, wenn sie sich einmal aussprechen könnte. Und deshalb frug sie.