Märchen und Sagen aus Wälschtirol : ein Beitrag zur deutschen Sagenkunde
Mädchen so ?' fragte er. Da schämte sich die Mutter und erwiederfce schnell: „Ei nun, ich schelte sie, weil sie zu viel arbeitet. Da hat sie heute sieben Spindeln voll gesponnen und ich will nicht, dass sie sich so anstrenge.' ..Kann sie denn gar so gut spinnen ?' fragte der Herr. ,.Da ist weit und breit im Lande keine Spinnerin, die so fleissig ist, wie meine Tochter', antwortete die Mutter. Da sagt« der Herr: „Wenn das so ist, könnt Ihr sie mir wo! zur Frau geben
; denn ich will eine arbeitsame Frau haben und eine bessere und fleissigere find' ich nim mer!' Mutter und Tochter willigten mit Vergnügen ein, die Hochzeit fand statt und der Herr führte seine junge Frau nach Hause. Schon nach wenigen Tagen liess er einen grossen Haufen Flachs bringen und sagte: „Höre, Frau, ich gehe heute den ganzen Tag auf die Jagd; da sollst du bis morgen abends diesen Flachs spinnen.' Sie machte ein trübes Gesicht und sprach : „Herr Genial, das ist nicht möglich.' 4 Da ward er zornig und erwiederte
ihr : „Meinst du, ich habe dich zur Frau genommen, damit du nichts arbeitest? Wenn du faulenzen willst, kannst du wieder nach Hause gehen.' Damit ging er fort auf die Jagd. Die Frau aber war in 'Verzweiflung ; denn der Haufe Flachs war so gross, dass sie denselben auch mit hundert Mägden in zwei Tagen nicht hätte verspinnen mögen. Wie sie so rathlos davor stand, schlich ein rothgekleidetes Männchen herein mit einem Krönlein auf dem Kopfe und sprach: „Was seid Ihr denn so traurig? Was gebt
Ihr mir, wenn ich Euch den Flachs spinne?' Die Frau antwortete nicht, aber das rothe Männchen fuhr fort: „Ich will den Flachs spinnen, aber ich stelle Euch die Bedingung, dass Ihr unter drei Malen meinen Namen errathen müsst, wenn nicht, seid Ihr mein und müsst mit mir kommen.' In ihrer Verzweiflung sagte die Frau ja und flugs erschienen unzählige kleine Männchen und trugen allen Flachs fort, so dass auch nicht ein Fäserchen zurückblieb. Abends kam der Herr von der Jagd heim und als er seine Frau so still und einsilbig fand