vielleicht noch für Monate erhalten könnte, aber trotzdem hielt die Politik an seinem Sterbelager nicht inne. Die gewaltigen Interessen der katho lischen Weltlirche wogen schwerer, als das heilige Bedürfnis ehrfurchtsvollen Schweigens am Sterbelager des Greises. In demselben Au genblicke, als man, menschlichem Ermessen nach, glauben mußte, dag Leo XIII. unrettbar dem Tode verfallen war, begann der Kampf um die Tiara, das rücksichtsloseste Ränke- und Intrigen spiel der kirchenpolitischen Parteien
werden, bis der Augenblick kömmt, wo der Kandidat für sich selbst macht voll eintreten kann und muß. Das ist im vorliegenden Falle das Konklave, an dessen doppelt verschlossenem Tore alle äußeren Ein flüsse halt machen müssen. Als von Leo XIII. in Ernst und Scherz selbst bezeichneter Nachfolger gilt seit Jahren der Kardinal Gerolamo Maria G o t t i. Am 29. März 1834 wurde er in der Salita San Gerolamo in Genua ge boren. Gerolamo trat in den Orden der bar füßigen Karmelitaner ein und zeichnete sich durch Lauterkeit
der eongrsgatio äs Propaganda fide der sogenannte „rote Papst". Er zählt unter den Kardinülen viele Anhänger, welche den feu rigen Mönch auf dem Stuhle Petri sitzen sehen wollen. Wenn er gewählt wird, bewahrheitet sich eine Weissagung, daß nach dem Immen de coelo (Leo XIII.) ein Ignis ardens kommen würde. Leo XIII. nannte ihn oft scherzend „Mio sue- cessore". Mit dem Namen Gotti ist noch kein politisches Signum verbunden. Man kennt ihn als einen klugen Mann 'von unglaublichen Kennt nissen auf allen Gebieten
ist der 60jährige Kardinal R a m p o l l a d e l T i u d ar o, der seit mehr als 14 Jahren die Geschicke der Kirche unter Leo XIII. geleitet hat. Er entstammt einer sizilianischen Marchesenfamilie und absolvierte gleichzeitig mit dem jetzigen Kardinal Bincenzo Banutelli glän zend das in der katholischen Welt berühmte Col- legio Capranico. Jeder achtet im Vatikan seine unermüdliche Arbeitskraft, aber jeder haßt auch seinen unersättlichen Ehrgeiz, und über seine schnelle Karriere erdichtete der Neid der .Hint
liebend, ebenso groß ist, wie es Leo XIII. war. Lco XIII. Persönlichkeit. Die französische Schriftstellerin Severine be schreibt den Papst folgendermaßen: „Sehr blaß, sehr gerade, sehr dürr, kaum den Blicken zugänglich, so wenig ist irdische Materie in dieser Hülle weißen Tuches, sitzt im Hinter grund des Saales der heilige Vater in einem be quemen Fauteuil, neben einer Säule, die von einem schmerzenreichen Christus überragt wird. Das Licht fällt von vorn mit großer Kraft auf dieses herrliche Antlitz