»«. Eine Tirolergeschichte aus dem Ib. Jahrhundert. Bon Otto v. Schaching. I. ^ ^ ^ 7 ' Die liebe Christenheit schrieb das Jahr des HeilS 1422. Es war am Morgen vor dem hohen Feste, welches die Kirche schon seit dem vierten Jahr hundert zur Erinnerung an die hehre Gottesmutter, „da sie zu Himmel geführt ward', feiert. Im Osten leuchtete das blanke Gestirn des jungen Tages und schoß seine Feuerstrahlen durch ein Meer purpurn angehauchter Wölkchen empor, so daß die höchsten Spitzen der Berge zu Riesenaltären umgewandelt
waren, ans welchen die Natur ihrem Schöpfer Brandopfer darzubringen schien. Also flammte und blitzte es im wogenden Lichtgeflnt zwischen Himmel vnd Erde. In unabsehbar breitem Strom ergoß sich das Sonnengold über Berge und Täler, über Höht» und Klüfte und über die menschlichen Heim stätten, die hoch oben auf den Hängen des Gebirges wie unten in den Niederungen lagen. In überwältigender Majestät ragten die-Gipfel der Mutt, der Röttelspitze, der Gfollwand westlich von der damaligen Hauptstadt des Ttrokr
Landes, Meran, zu des Himmels Bläue auf; im Süden thronte der Hochwart in königlicher Erhabenheit, weiter drüben tauchte die Mendel ihre seltsame Ge stalt in die Lüfte und blinkte das Eisblau der Laasergletscher, der nördlichen Abzweigung des riesigen Ortlers, hernieder in daS herrliche Meraner Becken. Ein wildes, trotziges Kind der Berge, schäumte die Passer durch diesen Talkessel, toste vorbei an üppigen Fluren, dichten Kastanienhainen, an dunklen Cyprefsenbüschen, vorüber an reichen Obstgärten
und Rebengeländen, an stolzen Burgen und Schlössern, die von freier Höhe ins Tal schauten, und au manchem Weißen Kirchlein, dessen Helles Gemäuer im Sonnenstrahle perlweis durch das satte Grün der Berge schlug. Ein Stück Himmel auf die Erde gefallen, ein Paradies und echter Gottesgarten ist das Land um Meran. Kein Wunder, daß in dieser Gegend einst, wie die Sage berichtet, ein edler Gnomenfürst, Laurin, gelebt und einen Rosengarten besessen haben soll, mit welchem sich an Pracht kein anderer Garten messen