war. In meinen Schläfen klopfte es; ich fühlte, daß mir das Blut in den Kopf stieg, und daß sich meine Züge verzerrten. Dann sammelte ich mich gewaltsam. Gerade die Intensität der Ver suchung gab mir die Kraft, einen Schritt zurückzutreten und meine Lippen von ihrem berauschenden Nacken fernzuhalten. Ich hatte klug daran getan — denn plötzlich stand Philipp neben uns. Ich zwang mich zu einer scherzhaften Anrede: „Ach. unser Pessimist!" „Nun." sagte La Tour°Aymon mit zweideutiger Heiter keit. „hast du noch immer
die Absicht, sie zu begnadigen?" „Mehr denn je." „Um was handelt es sich?", fragte Evelyne. .Um mich? War ich verurteilt?" Ihr Lachen klang unschuldig. Ungeschickt versuchte ich zu erklären: „Die Sache verhält sich so: Philipp und ich haben diese ganze vornehme Gesellschaft geprüft und haben festgestellt, daß ied»c einzelne eine Unmenge von Schändlichketten und Derbrechen auf dem Gewissen hat..." ».Warum überall das Böse suchen?" Philipp sah fie von der Seite an. Mit einem merkwür digen Ausdruck
von Zärtlichkeit und Verachtung. Trotzig stampfte sie mit dem Fuße auf: „Ich habe gesagt, daß ich heute Abend vergnügt sein will. Ist denn das wirklich zu viel verlangt?" „Und der Krieg . ..?. streß Philipp hervor. „Sprechen Sie nicht vom Kriege!" „Der Tod..." „Erzählen Sie mir nichts vom Tode!" „Von ivas denn?", fragte er mit Nagender Stimme. „Bon der Liebe!" „Dre Liebe setzt Leben voraus . .." „Ich wiederhole noch einmal." sagte sie und legt« ihre Hand aus seinen Arm. ..daß ich das Vorhandensein
des Un glücks nicht leugne. Es gibt wirklich unsagbar viel Elend und Leid. Morgen will ich. sorveit es an mir liegt, versuchen, es zu lindern. Heute aber will ich nicht daran denken. Wenn Sie wollen, daß wir Freundebleiben. Philipp, seien Sie fröhlich wie die anderen und lachen Sie!" „Und wenn es mir unmöglich ist?" „Ja, dann .. .' Sie wollte ihm ein verletzendes Wort hinwerfen, aber der Mut verließ sie. Sie sah ihm mit einem Blick voll Mitleid rns Gesicht, einem Blick, der einen Rest von Zuneigung
für diesen Mann verriet, den der Tod gezeichnet hatte. „Dann bin ich böse." sagte sie schwach, „für lange Zeit böse!" Er trat zurück und fragte mit merkwürdiger Feierlichkeit: „Wir scheiden also als Feinde?" Irritiert durch den Ton seiner Stimme und seine Hal tung rief fie aus: „Als Feinde?" „Evelyne," sprach er. „beeilen Sie sich, wenn Sie glücklich sein wollen." M:r mißfiel diese Art. sich einen dramatischen Abgang zu verschaffen, und ich versuchte, zu vermitteln: „Philipp!" Ohne sich umzusehen