Nr. 202. „Bozner Zeiwng (Skdtiroler Tagblatt)'* Donnerstag, den 3. September 1W6. Alt- und Ueu-Oeflerreich. (Schluß.) „Wir können uns ja leider nicht darüber läuschen, daß Oesterreich heute weder in der politischen Entwicklung, noch in der Kultur Europas eine Rolle spielt. Kein politischer Gedanke, kein Prinzip der Organisation menschlicher Gemein- schast, keine VerwaltungSeinrichtung der Kulturwelt trägt österreichisches Geprige, vermag den Oesterreicher mit dem stolzen Bewußtsein zu erfüllen
und die Selbster- ziehung unserer Bevölkerung aufrichtig und ernsthaft unsere Volkskraft zu stetiger und fruchtbarer Arbeit auf jenen Ge bieten lenken, dann würde ein Neu-Oesterreich erstehen, das wieder einen würdigen Rang unter den Kulturstaaten Euro pa'S einnähme, e« würde einwirken auf die europäische Gesit tung und es wäre ein Feld bearbeitet, auf dem wkder Ideale für unsere Jugend gedeihen könnten, auf dem eine warme Be geisterung für die Heimath und ein wahres StaatSgesühl erwüchse, die man heute
mit loyalen und patriotisch sein wol lenden Demonstrationen erheuchelt. AehnlicheS hat wohl AuerS- perg im Sinne gehabt, als er schrieb, daß die Erhebung Oesterreich nur erfolgen könne „mit dem einfachen Geheim- mittcl eines aus die hohen Ziele der Bildung, Gesittung und Freiheit gerichteten WettlaufeS Oesterreichs mit Deutschland.' Es mag unseren Parlaments- und anderen Bureaukraten allerdings sonderbar vorkommen, daß solch geisterhafte Dinge das Ziel realer und politischer Arbeit sein sollen, zumal
sie selbst ohne intimere Fühlung mit ihnen zu Ansehen, Würde und behaglichem Einkommen gelangt sind. Aber die Gestal tung Neu-Oesterreichs wird auch nicht von diesen Kreisen, sondern davon bestimmt werden, ob wir wahre VolkSparteien erhalten, die nicht nur den Nest des absolutistischen Alt- Oesterreichs zu vertreiben, sondern auch jene Ideale verständ lich zu machen und in greifbare politische Tendenzen umzu wickeln verstehen. Dazu wird aber nothwendig sein, daß die Besten der verschiedenen Nationen in Oesterreich
sind, die der mangelnden Ein sicht der Völker in das zur Zeit Nothwendige. Hier liegen ungelöste Aufgaben genug für werdende Parteien! So lange sie noch vor uns liegen und der Versuch noch nicht bewiesen hat, daß sie etwa über unsere Kraft gehen, lassen wir uns die Hoffnung nicht nehmen, daß sie gelöst werden und ein glückliches Neu-Oesterreich begründen.' Ein Jubiläum des Grödnerthales. (Schluß. An allen Häusern gab eS noch Schmuck und Triumphbogen, denn die Bewohner hatten recht wohl begriffen, daß der neue