Betrachtungen versun ken, bis die Uhr vom Glockenturme der Kirche St. Johann die zehnte Stunde verkündete. Jetzt schloß Konrad den Schrein und verbarg den Dhlüssel in seiner Ledertasche. Zwischen den Steinarbeiten schritt er hindurch, stellte die Lampe an ihren Platz und trat, nachdem er die Türe geschlossen, hinaus ins Freie. An dem unvollendeten Baue vorüber schlug er den Weg nach seiner Wohnung ein, die nahe am Rheine gelegen war. Er blickte nicht um sich, sonst hätte er gesehen, daß noch zwei
hatte, Heiligenstatuen schmückten die Wände, und in der Mitte, dem Eingänge gegenüber, fielen die Augen auf ein großes Pergament, Konrads Gesellenbrief. Gar hübsch mit Gold und bunten Farben waren die Buchstaben gemalt, vor allem der Sinnspruch des jungen Steinmetzen, aus Freidanks »Beschei denheit" entlehnt: , _ „(Sott höhet alle Güte ^ Und niedrigt Hochgemute." Darunter glänzte in lauterem Golde des Ge sellen Werkzeichen, ein Kreuz, von einem Winkel durchschnitten. Konrad stand am Fenster; er schaute einem Kahne
der Erde falschen Schein. O Welt, ade! Gott segne dich! Zum Heimatlande fahre ich." — So sang der Scl)isser in seinem Kahne. Konrad schloß das Fenster und trat zu einem Schreine in der Wand. Er nahm eine große Mappe daraus hervor, legte ein Pergament auf den Tisch, griff nach einem Stifte und begann zu zeichnen. Es war ein seltsames Werk, das er unter den Händen hatte. Regelrecht schlossen die Linien aneinander; hier sich zu Fialen und Wimpergen verzweigend, dort kunstreiche Galerien und Fensterbogen
bil dend. stiegen sie höher hinauf und vereinigten sich in der wunderbaren, durchbrochenen Spitze eines Turmes. Konrad zeichnete aus der Erinnerung den Auf riß des Kölner Domes, Schon seit einem Jahre arbeitete er an dem Werke, indem er jede geheime Gelegenheit benutzte, um eine neue Linienverbin dung seinem Gedächtnisse einzugraben und sie dann auf seinem Pergamente wiederzugeben. Sein gan zes Sinnen und Trachten lebte im Dome; für dies Wunderwerk schwärmte er. und er wollte nicht rasten
und ruhen, als bis er wenigstens sein Bild besitzen und es täglich betrachten könne. Nur wenige kleine Zieraten waren noch zu vollenden, und die mühevolle Arbeit lag vor ihm, schmuck und schön. Niemand wußte darum, und niemand durfte es missen, sonst war es um ihn geschehen. Konrad war ganz in seine Zeichnung vertieft, so daß er nicht bemerkt hatte, wie man drunten an der Türe klopfte und diese geöffnet wurde. Erst als muntere Schritte auf der Treppe erklangen, fuhr er erschrocken