6 „Vozner Nachrichten', Freitag, 5. Oktober 1906. Air. 227 Die Karriere einer Schulreiterin. Eine der elegantesten Damen, die im roten Automobil über belli Petersburger Newski-Prospekt fahren, ist die Grä fin Dom Mackelberg. Ihr Aussehen ist das einer prächtigen, vorzüglich erhaltenen Frau von 40 Jahren, obgleich sie be reits ein halbes Jahrhundert überschritten hat. Ihr großer Reichtum hat sie nicht unbescheiden, ihre große Schönheit nicht hochmütig gemacht. Es schien ganz selbstverständlich
nicht am Glück der Gräfin Stackelberg ersticken. Im Jahre 1877 kündigte der Zirkus Ciniselli in Peters burg seine Vorstellungen an. Da gab es zweierlei zu sehen: Erstens' die prachtvollen Pferde, die der König Viktor Ema- nuel der Schulreiterin Dom Ciniselli geschenkt hatte, und zweitens Dom Ciniselli, die Tochter des Zirkusbesitzers, sel ber. Und zu hören gab es vorerst einen verschwiegenen! Ro man, in dem Viktor Emanuel eine Nolle spielte; serner sprach man von einem blutigen Duell zwischen dem Grasen
Sandor Karolyi. und Niki Esterhazy in Budapest ; und schließlich gab es noch einen aufsehenerregenden Selbstmord am Wiener Hofe. Zu alledem sagte man: Dom Ciniselli. Und dann erfand man noch vieles dazu. In Petersburg stellte man die Teeabende ein. Man hatte. sich nichts mehr zu sagen, man ging in den Zirkus, um dort die Ciniselli zu sehen. Die Zeitungen sprachen von der Ma donna im Neitkleid, vom Engel zu Pferde. Fürst Gortscha- koff wagfe die erste Attacke aus Dom. Er holte sich, einen Korb
nicht besonnen genug. Sie werden der Polizei die nötigen Ordres geben, lieber Fürst, und heute Abend begleiten Sie. mich in den Zirkus Ciniselli.' Der Fürst mußte das Spiel gelten lassen, so Wenig es auch nach seinem Sinn war. Der alte Ciniselli wurde freigelassen und reichlich entschädigt, und der Zar war von nun an täglicher Gast im Zirkus Ciniselli. Bald aber wußte man auch, 'daß Dom Ciniselli täglicher Gast beim Zaren war. Nach jeder Vorstellung wurde Dom Cini selli vom Grafen Stackelberg
ru - Es dauerte lange, bis sich Dom Ciniselli bewegen ließ, die Artistenkarriere aufzugeben. Sie wollte vom Kaiser weder Geschenke noch Geld annehmen, sie wollte sich ihren Beruf erhalten. Als ihr der Zar einmal eine große Summe in einer Bonbonniere übersandte, verteilte sie das ganze Geld im Namen des Zaren unter die Armen von Petersburg. Nach dem schrecklichen Attentat vom 1. Dezember' 1880, dem der Kaiser imr wie durch ein Wunder entging, trug sich Alexan der II. mit dem Gedanken, das Zepter niederzulegen