Bericht der Kaiserlich-Königlichen Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt in Innsbruck ; 1894/95
, und selbst auch solche individuelle geistige Züge, die auf Organischem beruhen, sind nicht ohne jede Wandel barkeit. Die Umbildung der Individualität wird nur dann gelingen, wenn der Lehrer das, was und wie der Zögling ist, für seine Maßnahmen und 'Hurtigkeiten zum Ausgangs- und Beziehuugspunkte macht, wenn er also stets individualisiert, d. h., wenn er den Zögling nach seinen Anlagen, Neigungen, nach seinen Mängeln und Schwächen u. s. w. behandelt. Darum muss der Lehrer, falls er seine Aufgabe gut lösen
will, sich nicht nur mit den allgemeinen Gesetzen der seelischen Vorgänge bekannt machen und sich darnach richten, sondern er muss jedes einzelne ihm anvertraute Kind studieren, um die geeigneten Mittel wählen zu können, welche die Erreichung des Erziehungszweckes möglich machen. Wie der Arzt nicht eher an die Heilung gehen kann, als bis er die Krankheit klar erkannt oder, wie man sagt, eine richtige Diagnose gestellt hat; so kann auch der Lehrer nicht eher an eine heilsame Einwirkung auf den Zögling gehen, als bis er ihn gründlich
kennen gelernt hat. Schon die alten Griechen und Römer legten auf die Beachtung der In dividualität einen großen Wert. Ein Muster individueller Behandlung der Schüler bietet Sokrates. Sein Schüler Plato fordert Aufmerksamkeit auf die im Kinde bereits sich regenden Keime des eigenthümliehen künftigen Lebens. Cicero sagt: „Die Lehrer und Erzieher sollen die geistigen An lagen, die individuellen EigenU,ümlichkeiten eines jeden Zöglings genau zu erforschen suchen und darnach denselben behandeln
. Denn wenn sich der Unterricht den Eigenthümlichkeiten anbequemt, so werden die Schüler, trotz ihrer Unähnlichkeiten unter sich, ein jeder in seiner Art, sich auszeichnen.“ („De oral.“ Mb. III.) — „Der Lehrer soll gleich Isokrates“ — wie uns Quintilian (lib. II., cap. VIII.) und auch Cicero („De orat.“ lib. III., cap. IX.) berichtet — „ genau wissen, welcher unter seinen Schülern der Zügel (Ephorus), und welcher der Sporen (Theopompus) bedürfe.“ Noch mehr Boden gewinnt aber der Grund satz von der individuellen Erziehung