. Mutter, du tust mir unrecht, Ich wollte Großmama nicht ihre Illusion rauben. Sie ist doch so kindisch!“ Erika Duncker DER SONNENAUFGANG Eine fast österliche Geschichte Zwei fast geldlose Dichter sitzen auf der Bank und blinzeln in die Sonne der ersten Apriltage. Max heißt der eine, der andere bin ich- „Ja, ja", seufze ich. „Ja, ja, ja“, seufzt Max. „Wie bitte?" frage ich. „Einmal im Leben möcht ich - „Was möchtest du einmal im Leben, Max?“ „Einmal die Sonne aufgehen sehen drau ßen im Wald
und Augenzeuge sein, wie sich die Rehlein den Schlaf aus den Augen wischen." „Falsch, mein Lieber, das Reh hat keine Augen, sondern Lichter!" Und dann ziehe ich den Kalender aus der Tasche. „Paß auf: Die Sonne geht am Johannistag um drei Uhr dreißig, Pfingsten um vier Uhr vier, Ostern um fünf Uhr fünfzig auf. Ostern ist am be sten, und wann ist Ostern?“ „Morgen“, sagt Max, Am nächsten Morgen — wer sollte es für möglich halten? — sind wir um vier aus den Federn, um fünf mitten im Wald, der Nebel wogt
nicht schlecht, die Rehlein schlafen noch mit geschlossenen Lichtern, die Sonne denkt nicht im Schlaf daran, auf zugehen, die Tropfen tropfen von den Blät tern in die Halskragen, und um sechs Uhr fünf sitzen wir wo? Im Gasthaus zum wil den Schwein. „Hallo!“ ruft Max, „Herr Wirt, schnell einen doppelten — — —" Aber das Wort bleibt ihm im Halse stek- ken, denn durch die Tür kommt ein Mäd chen — was sage ich - eine Dame, eine Fee, eine Göttin! Von oben bis unten in Lo den und Jagdkostüm, mit blitzenden Augen
und wallendem Wuschelkopf, wie aus einem Roman entsprungen. „Moin!“ ruft sie und dann: „Kaffee bitte!“ Eine Stimme, kann ich euch sagen, wie die Glockenharfe im Opernhaus. „Das und nichts anderes ist der Sonnen aufgang!" stößt Max ekstatisch hervor- „Er ist es“, flüstere ich zurück, „und jetzt gib gefälligst an! Ich bin der Opernsänger Dusimusi, und du bist Graf Hjalmar von Donner sberg!“ Max räusperte sich und sagt: „Wann singst du endlich wieder in Rom, Dusimusi?“ „Carissimo mio — im Herbst denk
* ich, wenn ich aus dem Vertrag mit Rio de Ja neiro herauskomm!“ „Mann!" ruft Max, „warum willst du aus dem Vertrag heraus?“ „Rio zahlt Milreis, und ich schließe prin zipiell nur in Dollar ab, was denkst denn du?“ „Allerdings", lacht Max, „wenn man Du simusi und ein Neffe Carusos ist!" Wir schielen zum Nebentisch. Di e Göttin i. t die Kaffeetasse zehn Zentimeter vordem Mund gestoppt. Stumm und steif sitzt sie auf dem Anstand. Diana, die Göttin der Jagd, die Nasenflügel vibrieren wie bei einem Reh. „Ha!“ denke ich, und fahr