211 i'»- kürlich kommt mir dann der Gedanke, daß sie beinahe eine glück lichere Kindheit gehabt als dieser kleine Gcbe. — Unbeaufsichtigt, sich selbst überlassen ist er nie. Er mag nun im Garten spielen, natürlich allein, denn Spielgefährten hat er nicht, oder oben in seinem geräumigen Spielzimmer sich aufhalten, überall ist sein Erzieher zugegen. Armer, kleiner Leo! Wie ernst und klug diese Kindercmgen schon zu blicken verstehen! — Vorigen Sonntag bat mich die Gräfin, ihrem Sohn
für einige Stunden Gesellschaft zu leisten, da Doktor Kramer abwesend sei. Als ich das Zimmer betrat, stand der Knabe am Fenster, stumm, verträumt in den regen nassen Garten schauend. Die prächtige Festung mit Zubehör, die er erst kürzlich zum Geburtstag erhalten, stand halb aufgebaut in der Mitte des Tisches: augen scheinlich hatte er die Lust an dem Spielzeug verloren. „Komm, Leo, ich will dir helfen, deine Festung wciterbauen', sagte ich und nahm vor dem Tische Platz. Er trat zögernd näher. Die kleinen Hände
fest verschränkt, schaute er mir zu, wie ich Mauer und Türmchen zusammenfügte, bis der Bau fertig war. „Hast du auch Soldaten, Leo? — Wir könnten so hübsch Feind spielen!' meinte ich dann. „O ja, Soldaten Hab' ich, alle Arten!' und eil fertig schleppte er das Kistchen mit buntbemalten Kriegern herzu. „Das sind Franzosen, das Turkos, das Preußen, das Österreicher!' erklärte er eifrig. „So, ich nehme die Franzosen und du die Deut schen, Leo! Ich werde mich in die Festung bege ben, dann kannst
mich in die bogige Fensternische. „Aber ich muß gehen, mein Leo, überdies wird Herr Kramer gleich kom men', warf ich ein. „Nur noch eine kleine Weile! Komm', erzähle mir von deinen Brüdern!' So gab ich denn nach. Wie schon oft, saß ich wieder auf der kleinen Bank am Fenster, wo der Knabe sonst seine Schularbeiten zu machen pflegte, das Kind dicht an mich geschnnegt, erwartungsvoll lauschend. Ich brach plötzlich ab, denn ein schmerzlich sehnsüchtiger Strahl brach aus den Kinderaugen. „Woran denkst du jetzt, Leo
?' fragte ich leise. „Ich dachte daran,' begann er träumerisch, „daß ich auch einmal so auf die Bäume klettern und des Sommers auch so lustig, ganz allein über Feld und Wiesen laufen könnte, den Schmetterlingen nach!' „Das wirst du auch, Leo, mein Liebling, laß nur erst den Sommer kommen,' tröstete ich, „dann lau fen wir um die Wette!' „O Leonore!' jubelte er und schlang die Arme noch fester um meinen Hals. „Hast du mich lieb, Leo?' mußte ich unwillkür lich fragen. „Am allerliebsten!' klang es stürmisch