Der fahrende Skolast ; 4. 1959
Und wer möchte diese Vielfalt auch missen! Ja, könnte dann nicht auch der Osten erklären, er sei das eigentliche heutige Europa und wir seien das ge strige. Und tatsächlich beanspruchen beide Teile diesen Vorzug für sich, der Osten mit großen Worten, der Westen durch sein Gehaben, er tut ganz so, als vertrete nur er das wahre Europa. So stehen wir unschlüssig vor diesem zwiespältigen Kontinent und vermögen nur festzustellen, daß in den äußeren Erscheinungen, in denen sich doch die geistige Welt
spiegelt, eine Einheit nicht gegeben ist. Und dies, obwohl wir uns bewußt sind, daß auch die östlichen Ideen der heutigen Gewaltherrscher aus europäischem Gedankengut erwach sen sind; Marx und Engels stammen aus Mitteleuropa, ihre Gedanken zu denken, hat ihnen der Westen ermöglicht. Trotz dem dürfen wir dem Osten die An maßung, Europa darsteilen zu wollen, vor allem deshalb absprechen, weil dort die Freiheit in ungern ein höherem Maße eingeschränkt Ist und alles Geschehen des heimlichen Druckes
wir nicht zu. leugnen, daß die westliche Welt, über dem Atlantik hin weg, geistig viel enger zusammenhängt als das Europa, diesseits und jenseits der künstlichen Grenzziehung,. Torheit, scheint demnach die Frage nach der gei stigen Einheit Europas. Man müßte viel mehr von der Amerikas mit Westeuropa reden. Vieles, was scheint, ist Oberfläche. Auch die geistige Einheit Europas ist immer noch da, nur liegt sie tiefer. Und die zwiefache Tünche, die östliche und die überseeische, vermag den Kern nicht völlig
Lebensweges. Es sind die Glieder einer Kette immer wachen Bewußtseins. Denn das Wesentliche in der geistigen Einheit Europas liegt im Bewußtsein des gemeinsamem Gewordenseins, das in der Kultur .seinen Niederschlag findet und in der- Gesamtbildung des einzelnen wei- t erlebt; diese ist also der Vergangenheit verpflichtet und für die Zukunft aus die sem Geiste heraus verantwortlich. Nichts trennt eben auch die östliche Despotie so sehr von Europa als der Bruch mit der Tradition, im Westen aber bedingt
, die Oberflächlichkeit im Den ken und Leben das Anlehnungsbedürf- nis an das geschichtslosere Amerika. Denn die geistige Einheit wirkt im Volke nur dumpf und nimmt dann mit stei gender Bildung zu. Aber in der Gesamt- bildung unterscheidet sich bis jetzt der Durchschnittseuropäer immer noch vom Amerikaner. Mag dieser darauf hinwei- sen, daß er ja auch alle geistigen Werte und Grundansichten von Europa geerbt habe, oder mag er’s leugnen, wenn er kann, er ist in der Rolle des Schülers, der versichert, er wisse