Der fahrende Skolast ; 3. 1958
und in dem gewandelten Bestand an Traditionen. Wenn wir uns nun der Frage nach dem Sinn der Tradition zuwenden, so gehen wir, vorbereitet durch die vorausge schickten Betrachtungen, daran, die Werte aufzusuchen, deren Realisie rung die Tradition dient. Der Sinn eines Vorganges, einer Institution, eines Ge schehens liegt ja immer darin, daß es in einem Wertganzen eine bestimmte Funktion erfüllt und in seiner Weise zur Verwirklichung der angelegten Werte beiträgt. Das Wertganze, in dem wir die Tradition
gen, aus denen ja erst eigentlich die wil lensmäßigen Komponenten mensch lichen Verhaltens hervor gehen, bringen nun eine Stabilität mit sich, die für die Gemiensehaft von höchster Bedeutung ist, eine Stabilität, welche imstande ist, dem einzelnen und ganzen Gruppen, Völkern und Staaten über gefährliche Entwicklungsphasen hinwegzuhelfen, eine Funktion der Tradition, die ihr einen ganz besonderen Sinn und Wert verleiht. Wie bei dem Verhältnis des: Menschen zur Autorität tritt auch im Zusammen hang
zungen geknüpft und verliert ohne diese seine Geltung. Zunächst ist hervorzu heben, daß es bestimmte Gebiete gibt, in denen die persönliche, von eigener Verantwortung getragene Entscheidung des Menschen notwendig ist, die nicht durch Uebernahme einer Tradition er setzt werden kann. Selbstbesinnung und Selbstenschließung wird man z. B. in der eigentlichen religiösen Entscheidung verlangen müssen und der Sinn der Tradition liegt nicht darin, diesen Weg der Entscheidung vermeiden zu helfen. Dennoch
zeigt sich auch hier eine sinn fällige Funktion der Tradition: in den Ueberlegungen, welche einer solchen persönlichen Entscheidung vorangehen und sie motivieren, kommt die Tradition in der ihr eigenen Weise zur Geltung, in dem sie den Ueberblick über die beste henden Möglichkeiten erleichtert und von übereilten, ungenügend geklärten Entscheidungen abhalten kann. Die Ueberlegenheit des Wohlunterrichteten —• und diesen Zustand verdankt er ja der Tradition —■ besteht gerade darin, daß er zu einet gut
mehr und mehr die Aufmerksam keit auf sich ziehen, der eigentliche Ge halt aber gar nicht mehr betrachtet wird. Damit hat natürlich die Tradition ihren Sinn geändert, vielleicht sogar eingebüßt, wenn sie auch noch imstande ist, Gefühle zu erregen, eben durch das farbenprächtige Gewand, welches sie noch trägt. Es ist klar, daß eine solche leere Tradition nichts von dem leisten kann, was wir gerade als Sinn und Wert der Ueberlieferung hervorgeh oben haben; sie würde nur die Persönlichkeit in Formen