REDAKTION KULTUR j Heinrich Schwazer I e-mail: schwazer@taqeszeitunq.it ' Ta geszeitung K U L Mi 26.102005 Nr. 217 R 15 » u Nichts vergeht mit der Zeit: Joseph Zoderers Erzählband „Der Himmel über Meran“ schaut auf Bruchstücke des eigenen gelebten Lebens und entdeckt Existenzielles. Von Heinrich Schwazer T atsächlich frage ich mich täglich, warum ich unter diesem geteilten Südtiro ler Provinzhimmel herumlaufe und mich von Jahreszeit zu Jah reszeit quälen lasse von der Fra ge, wozu
bist du hier, warum ge rade hier? Dieser verdammte Himmel, der uns alle so meteoro logisch" zudeckt —. eine einzige Schlafdecke...“ „naturgemäß“, würde Thomas Joseph Zoderen Das „Fremdheitsgefühl“, das es braucht, „um es daheim auszuhalten” Bernhard diesem Satz, der alles enthält, was Joseph Zoderers Schreiben seit Jahrzehnten vor antreibt, hinzufugen, doch die Bernhardsche Misanthropie ist nicht Zoderers Sache. Mit bald 70 Jahren ist er ein Schriftstel ler, der abseits geht und fremd bleibt, der ganz vom Rande
und fast vom Ende her auf die Dinge blickt und dennoch leidenschaft lich involviert bleibt. Mit dem geteilten Himmel, dem „nicht enden wollenden Gekeife der Mussolini-Erben auf der einen und dem Dröhnen der Mir sein mir-Stammtischbrüder auf der anderen Seite“, will er sich nicht versöhnen, ebenso wenig damit, dass er als Spaziergänger wie ein „Klo-Strafgefangener“ über „güllestinkende Wiesen“ wan- ' dern muss. Das Dorf, in dem er lebt, gibt' es erst „seit wir alle reich geworden
sind, oder doch einige von uns“, zusammenge wachsen wie ein „luxuriöses Ge fangenenlager“ und dennoch mag er es genau deswegen, weil es ihm das „Fremdheitsgefühl“ lässt, das er braucht, „um es da heim auszuhalten“. Milde stimmt seinen Zorn nur, „dass alles Teil eines Lebensabenteu ers ist, auch wenn dieses nach Gülle stinkt.“ Der Himmel, der V a a es ihm angetan hat, ist der Ne bel: „Meinerseits habe ich den Nebel oft für meinen liebsten Himmel gehalten,... Gehen im Nebel, „das ist ein Stillwerden, ein Tasten durch Bewusstseins fragen
: was will ich - was ist das? wer bin ich wo?“ „Der Himmel über Meran“, so die titelgebende Erzählung des neuen Buches von Joseph Zode- rer bündelt in sechs Erzählungen noch einmal jene zentralen Moti ve, die ihn seit Jahrzehnten be schäftigen: Heimat, Fremdheit, Weggehen, Bleiben, unbewältigte Vergangenheiten, verschenkte Lieben, verlorenes Glück, Tbd und nichtgelebtes Leben. Mit Ausnahme von der großartigen Optionserzählung „Wir gingen“, die vor kurzem als eigenständi ger Erzählband bei Raetia er schienen ist, handelt