Spionage-Geschichte von Lothar Semper. Zu Weihnachten des Jahres 1915 begab sich der junge Hauptmann K., da ihm ein längerer Urlaub nicht bewilligt! worden war, auf viertägige Absentierung, wie solche Urlaubs- ersätze damals genannt wurden, nach Lemberg, um sich dort ein wenig von den Strapazen des Winterstellungskrieges in Wolhynien zu erholen. Von einer Erholung im eigentlichen Sinne des Wortes konnte aber in jener Stadt, wo damals ein äußerst bewegtes Leben herrschte, wohl nicht gut
von selbst, daß auch die holdeste „Damenflora" dort sehr zahlreich vertreten war. Man konnte im Kaffee „Warszawski", ohne sich im mindesten darum be müht zu haben, sogleich ein „Anhängsel" finden, von dem man aber natürlich auch dementsprechend „gewürzt" wurde. So erging es auch dem Hauptmann K., dem auf ein mal, ehe er sich! dessen versah, 'fjb- ei,n Parj|tmdust^rdch> in kostbare Pelze gehülltes und recht hübsches Dingelchen auf dem Schoße saß. Vera, so hieß jenes polnische Schlängelchen, erwies sich übrigens
als sehr bescheiden, sie war noch eine Anfängerin, die wohl — wie so manche ihrer Schwestern, erst während der Lemberger Russenzeit auf die „schiefe Ebene" geraten sein mochte. Alles befand sich in ausgelassenster Stimmung und wäh rend eine Zigeunerkapelle hinreißende Pußtaweisen oder flotte Wiener Walzer spielte, floß der Alkohol in Strömen. Trotz der süßen Last, die sich ihm dermaßen um den Hals geworfen hatte, blieb aber der Hauptmann K., der sich in diesem geräuschvollen Milieu nicht recht wohl fühlen konnte
eine aus tiefster Seele kommende Anti pathie gegen denselben zu verspüren begann. „Tu, Vera", fragte er diese flüsternd, ,,wer ist denn jener Herr?" „Ach, der," raunte die kleine Polin und aus einem jähen, bösen Aufblitzen in deren dunklen Augen koninte K. erkennen, daß sie in irgendwelchen, nicht gerade glücklichen Beziehungen zu jenem Galan zu stehen schien, „der rennt allen Weibern nach, und macht den Krieg, aus diese Weise im Hinterland mit." „So, so," machte der Hauptmann nachdenklich," kennst du ihn näher
?" Da fing das vorhin noch so lustige Mädel plötzlich zu weinen an: „Er, er ist ses, der mich (verführt und- dann sitzen gelassen hat." Etwas verkatert erwachte oer Hauptmann K. am nächsten Morgen. aNch einem erfrischenden Bade begab er sich dann in eine Cukiernia (Kaffee-Konditorei), wo er verabredungsgemäß mit Vera Zusammentreffen sollte. Diese erschien jedoch nicht und schon wollte K., darob sehr mißgestimmt, Weggehen, als plötz lich die Tür des Zimmers, in welchem er saß, jäh aufgerissön wurde