Fenster und bemerkte zu ihrem großen Erstaunen, daß es der Riese war, der eingeschlafen vor dem Tore lag und mit solch grausamer Gewalt schnarchte, daß alle Türen, so oft er den Atem einzog und wieder ausstieß, von dem Zugwinde klappend auf und zu flogen. Nun sah sie auch, so oft dir Türe nach dem Saale aufging mit Verwun derung, wie die Figuren auf den Tapeten, denen die Glieder schon ganz eingerostet waren von dem langen Stillstehen, sich langsam dehn ten und reckten; der Mond schien hell
über den Hof, da hörte sie zum erstenmal die ver zauberten Brunnen rauschen; der steinerne Neptun unten saß auf dem Rande der Wasser kunst und strählte sich sein Binscnhaar; alles wollte die Gelegenheit benutzen, weil der Riese schlief; und der steife Storch machte so wun derliche Kapriolen auf der Mauer, daß sie lachen mußte, und hoch auf dem Dache drehte sich der Wetterhahn und schlug mit den Flügeln und rief immerfort: „Kik, kik dich um, ich seh' ihn gehn, ich sag' nicht wen I" Am Fenster <lber sang
und setzte sich ins Fenster und wehte mit ihrem weißen Schnupftuche hinaus — „und grüß'' dich Gott!" rief da die Prinzessin, „grüß' dich Gott in die weite, weite Ferne, es ist ja keine Nacht so still und tief als meine Lieb'!" Renata faßte sie lachend um den Leib, um sie zurückzuziehen. — „Herr Jesus!" schrie sie da plötzlich auf, „ein fremder Mann, dort an der Mauer hin!" — Gabriele ließ erschrocken ihr Tuch sinken — es flatterte in den Garten hinab. Ehe sie sich aber noch besinnen konnte, hatte Renata
schon das Fenster geschloffen; sie war voll Furcht, sie mochte nichts mehr von dem Märchen hören und trieb Gabriele hastig aus der Tür über den stillen Gang in ihre Schlafkammer. Gabriele aber, als sic allein war, riß noch rasch in ihrer Zelle das Fenster auf. Zu ihrem Schreck bemerkte sie nun, daß das Tuch unten von dem Strauche verschwunden war, auf den es vorhin geflogen. Ihr Herz klopfte heftig, sie legte sich hinaus, so weit sie nur konnte: da glaubte sie draußen den Fluß wieder auf rauschen
zu hören, darauf schallte Ruderschlag unten im Grunds, immer ferner und schwächer, dann alles, alles wieder still — so blieb sie verwirrt uud überrascht am Fenster, bis das erste Morgenrot die Bergesgipfcl rötete. Bald darauf traf der Namenstag der pri orin, ein Fest, worauf sich alle Hausbewohner das ganze Jahr hindurch freuten; denn auf diesen Tag war zugleich die jährliche Weinlese auf einem nahegelegenen Gute des Klosters fest-