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Schlern
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Seite 10 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Wissenschaft Literatur Johann Peter Hebels „Andreas Hofer“ (1810) Analyse einer Kalendergeschichte - Von Sigurd Paul Scheichl Am 20. Februar 1810 ist Andreas Hofer in Mantua erschossen worden. Wohl bald nach dem Einlangen dieser Nachricht in Karlsruhe - einige Wochen nach dem Ereignis - hat Johann Peter Hebel seine Kalenderge schichte „Andreas Hofer“ geschrieben, die also ziemlich genau hundert Jahre alt ist. Anlass genug, um sich über Hebels Argumente und die formale Subtilität dieses kurzen

Texts wieder einmal Gedanken zu machen, dem unter dem Gesichtspunkt der ästhetischen Qualität kaum eine spätere literarische Gestaltung der Tiroler Ereignisse von 1809 auch nur nahe kommt. DER SCHLERN 8 CM „Andreas Hofer“, das „unselige Schlußstück“ 1 des Rheinländischen Hausfreundes auf das Jahr 1811 2 , der „Fauxpas“ Johann Peter Hebels, in seinem Kalender - was so ohnehin nicht zutrifft - „für das Schicksal eines Andreas Hofer nur Spott aufzubrin gen“ 3 , hat bei Generationen von Hebel-Leserinnen

und -Lesern Missfallen ausgelöst. 4 Einige neuere Tiroler Darstellungen der Andreas-Hofer-Nachwirkung haben den Text sogar schlicht und einfach ignoriert 5 - wozu gleich anzumerken ist, dass Hebels Ge schichte gar nicht zur Hofer-Nachwirkung gehört, viel mehr als eine Kritik an einem noch gar nicht entstandenen Mythos 6 eine unmittelbar zeitgenössische Reaktion ist. 7 Der Rheinländische Hausfreund für 1811 wurde ab Mai, vielleicht sogar schon ab Ende April 1810 gedruckt 8 ; Hebel dürfte die Nachricht

. Der Kalender für 1811 (ohne Kalendari um) auf S. 114-144, „Andreas Hofer" auf S. 143 f., die Abbildung dazu auf S. 142. 3 Uli Däster: Johann Peter Hebel. Reinbek 1973. 124. = rowohlts monographien 195. 4 Harald Burger; Peter von Matt: Johann Peter Hebels „Andreas Hofer" - politischeTendenz und phra seologische Strategien. ln:Verborum amor. Studien zur Geschichte und Kunst der deutschen Sprache. Festschrift für Stefan Sonderegger zum 65. Geburtstag. Berlin: de Gruyter 1992. 502-523. Hier 504 f. Anm

. 12, enthält eine lange Liste der Kritiker dieser Kalendergeschichte. In der an sich umfangreichen Ausgabe: Johann Peter Hebel: Poetische Werke. Hg. von Emil Strauß. Berlin: Deutsche Buchgemein schaft 1968 [identisch mit dem Hebel-Band derTempel-Klassiker], fehlt „Andreas Hofer" überhaupt. 5 Burger; von Matt, ebenda. 504. 6 So versteht den Text Johann Holzner: Eingestürzte Brücken: Hofer-Mythos, Literatur. In: Mythos: Andreas Hofer. Hg. von der Grünen BildungswerkstattTirol. Wien: planet 2008

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Seite 57 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Geschichte Wissenschaft 76 Martin Laimer/Martin Mittermair, Architek tur + Kunst - St. Martin in Passeier - 12. bis 20. Jahrhundert, [Passeier] 2007, S. 52 f. 77 Staffier,Tirol, S. 714. 78 Südtiroler Kriegsopfer- und Frontkämpfer- Verband (Hg.), Das Leben und Sterben des Andreas Hofer. Geschichtliche Darstellung in Wort und Bild/Andreas Hofers Leben und Sterben, [Meran] 1959, S. 13. 79 Hormayr, Geschichte, S. 52. 80 [Joseph] Kyselak, Skizzen einer Fußreise durch Österreich. Herausgegeben

von Ga briele Goffriller und mit einem Vorwort von Gabriele Goffriller und Chico Klein, Salzburg- Wien 2009, S. 269. 81 Vgl. Bart (4), in: Neuer Physiologus. Enzyklo pädie der Erfahrungen, www.physiologus.de/ bart.htm (13. August 2009). 82 Beda Weber, Das Thal Passeier und seine Bewohner. Mit besonderer Rücksicht auf Andreas Hofer und das Jahr 1809, Innsbruck 1852, S. 326. 83 „Nach der mündlichen Erzählung des Pries ters Simon Platzer und nach dessen Umar beitung der Schriften des Priesters Ladurner'/ Alois

. Die Autoren danken Dr. Eva Werner für den Hinweis. 88 Jakob Sieberer, Beschreibung der tirolischen Landesverteidigung vom Monathe Aprill bis 6ten December 1809, bezeichnet „Tagebuch des Jak. Sieberer. Aus Materialien zu Rapp 1809 No 6, Bd 13",Tiroler Landesarchiv (TLA), Materialiensammlung Rapp, Schuber 13, Nr. 6. 89 Sieberer, Beschreibung, S. 75 f. 90 Rapp,Tirol, 577. 91 Staffier,Tirol, 714. 92 Vgl. Andreas Oberhofer, Weltbild eines „Hel den'/ Andreas Hofers schriftliche Hinterlas senschaft (Schlern

-Schriften 342), Innsbruck 2009, S. 102 f. 93 Franz-Heinz Hye, Die Siegel Andreas Hofers. Eine sphragistisch-historische Studie zur Ge schichte der Erhebung Tirols im Jahre 1809; in: Tiroler Numismatische Gesellschaft (Hg.), Haller Münzblätter. Nachrichten der Tiroler Numismatischen Gesellschaft Hall in Tirol 1, 6/1973, S. 3-11. 94 Vgl. Abbildung; in: Meighörner et al., Hofer Wanted, S. 95-134, hier S. 97. 95 Ebd. 96 Zit. nach Karl Paulin, Andreas Hofer und Inns bruck; in: Landesverkehrsamt für Tirol

. Abschrift der Mel dung des Landrichters von Rattenberg an das bayerische General-Kreis-Kommissariat, dat. 23. Oktober 1811; in: Fritz Kirchmair,Tirol von 1805-1815 aus bayerischer und österreichischer Sicht, [Schwoich 1995], Bd. 12, Blatt 184. 107 Riedmann, Wildschönau, S. 41. 108 TLA,Tiroler Landesverteidiger 1809. Fasz. I., Pos. 1.: Akten über Zivilprozesse Andreas Ho fers. Akten des Landgerichtes Passeier. 109 Alois Menghin, Andreas Hofer und das Jahr 1809. Ein Geschichtsbild für Jugend und Volk

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Seite 79 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Andreas Hofer - Prüfstein geschichtswissenschaftlicher Methodenvielfalt W as ein durchschnittlicher Leser kaum glaubt: Der Fachmann weiß es, nämlich dass die Annäherung an einen schon vielfach bearbeiteten Gegenstand ungleich schwieriger ist als die Auseinandersetzung mit etwas völlig Neuem. Es heischt daher Bewunderung, wenn ein noch sehr junger Historiker gleich das Thema aufgreift, das vielleicht das brisanteste der gesamten Geschichte Tirols ist, die Person Andreas Hofers. Andreas Oberhofer

und das Selbstverständnis der Akteure geht, sondern um Umstände und Verhältnisse, strukturelle Konstel lationen, die das menschliche Handeln bestimmten. Für Andreas Hofer er scheint dieser Ansatz höchst lohnend, war es doch bisher gerade das Fehlen von Informationen zu seiner Person, das die Mythenbildung förderte. Mit Recht darf man sich in diesem Fall daher von einer etwa in die Historische Demogra phie, aber auch in die allgemeine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte eingebetteten Biographie mehr erwarten

Ginzburg) teilweise zum neohermeneutischen Ansatz der so genannten Neuen Kulturgeschichte zurück, der ihm wiederum die Konzen tration auf das Individuum ermöglicht. Hohe mentalitätsgeschichtliche Sensibi lität und ein gleichsam ethnologischer Blick sind hierbei zweifellos fördernde Voraussetzungen, desgleichen die Wei gerung, das Fortschrittskonzept der Gesellschaftsgeschichte um jeden Preis durchzudrücken. Andreas Oberhofers erklärte Absicht ist es, einen Mittelweg zwischen mikroanalytischer und makro

analytisch-struktureller Fallstudie (S. 32) einzuschlagen. Makroanalytisch von Belang sind die Ausführungen zur Wirtschafts-, Verwal- tungs- und Rechtsgeschichte Tirols und des Passeiertales, die Überlegungen zur Elitenbildung im ländlichen Raum so wie die Anwendung zentraler Parameter der Historischen Demographie auf die Familie des Protagonisten. Die hierbei sichtbar werdenden Forschungslücken zu schließen kann Andreas Oberhofer im gegebenen Kontext freilich nicht zugemutet werden: Umso lobenswerter

ist sein Versuch, dies in Teilbereichen zu tun, etwa durch eine systematische Ana lyse des Theresianischen Katasters, die zumindest eine relative Bewertung der zum Sandhof vorliegenden Daten mög lich macht. In die Mikrostrukturen stößt Oberhofer durch Überlegungen zu den spezifischen wirtschaftlichen Gegeben heiten des Sandhofes, zur älteren Ge schichte der Familie, zu Andreas Hofers Andreas Oberhofer Der Andere Hofer Der Mensch hinter dem Mythe Andreas Oberhofer, Der Andere Hofer. Der Mensch hinter dem Mythos

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Seite 56 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Hofmeister, Das Österreichbild der napoleonischen Soldaten (Dissertationen der Universität Wien 96), Wien 1973, S. 254 f., zit. nach Pizzinini, Andreas Hofer, S. 248. 24 Heindl, Helden, S. 149. 25 Hauff, Moden, S. 297 f. 26 Vgl. Bart (4), in: Neuer Physiologus. Enzyklo pädie der Erfahrungen, www.physiologus.de/ bart.htm (13. August 2009). 27 Vgl. Heldenfrauen - Frauenhelden. Kunst Kul tur und Geschichte von Frauenzimmern. Aus stellungsführer, o. 0. 2009, S. 31. 28 Vgl. http://www.1809-2009

Eckart, Krankheit; in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 7, Stuttgart u. a. 2008, Sp. 121-127, hier Sp. 121-122. 48 Ernst Kretschmer, Temperament; in: Ritter/ Gründer, Historisches Wörterbuch der Philo sophie, Bd. 10, Sp. 981-997. 49 [Hormayr, Joseph von], Geschichte Andreas Hofer's, Sandwirths aus Passeyr, Oberanfüh rers derTyroler im Kriege von 1809, Leipzig- Altenburg 1817, S. 52. 50 Hauff, Moden, S. 276 f. 51 Ebd., S. 290-292. 52 Schelle, Geschichte, S. XXIX. 53 Hauff, Moden, S. 300. 54 Ebd. 55 Ebd

., S. 303-305. 56 Ebd., S. 325. 57 Frank Gnegel, Bart ab. Zur Geschichte der Selbstrasur, Ausstellungskatalog Köln 1995, S. 31. 58 Ebd., S. 16. Vgl. Haering, Bart, Sp. 35: Im 16. und 17. Jahrhundert habe der Klerus einen kurzen Bart getragen. 59 Gnegel, Bart ab, S. 17. 60 Ebd., S. 18. 61 Hauff, Moden, S. 294. 62 Schelle, Geschichte, S. 204 f. 63 Ebd., S. 297-301. 64 Ebd., S. 302. 65 Ebd., S. 303. 66 Eleonore Gürtler, Ein Heldenmythos entsteht. Andreas Hofer in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts

; in: Wolfgang Meighörner/ Tiroler Landesmuseen-Betriebsgesellschaft m. b. H. (Hg.), Hofer Wanted. Ausstellung 24. April—15. November 2009, Innsbruck 2009, S. 95-134, hier S. 97. Vgl. zu Porträts der „Lan desverteidiger" von 1809 Andreas Oberhofer, Der Andere Hofer - Der Mensch hinter dem Mythos (Schlern-Schriften 147), Innsbruck 2009, S. 35, 340 f. 67 Marquis de Paulmy, Precis d'une histoire ge nerale de la vie privee des Frangais (1779), zit. nach Fernand Braudel, Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts

. Bd. 3: Der Alltag, München 1990, S. 356. 68 Hans Magenschab, Andreas Hofer. Zwischen Napoleon und Kaiser Franz, Graz-Wien-Köln 1984, S. 44. 69 Gnegel, Bart ab, S. 24. 70 Vgl. Max Gruber, Bruneck und das westliche Pustertal im Jahre 1809 (Schlern-Schriften 86), Innsbruck 1952, S. 52. 71 Heinrich von Wörndle (Hg.), „Aus vergilbten Blättern" Zeitgenössische Beiträge zur Ge schichte von anno Neun. Akten zu Tirols Jahr hundertfeier. Nach Originalaufschreibungen, Innsbruck 1909, S. 46. 72 Hans Schmölzer, Andreas

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Seite 20 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
sich mehr ein als die edle Tat, die gefährdete Ordnung haftet länger im Gedächtnis als die aufgehende Sonne. Die vermutlich vor Hofers Hinrichtung entstandene „Rettung einer Officiers- frau“ dürfte keinen direkten Bezug zu „Andreas Hofer“ haben, ganz bestimmt nicht in dem Sinn, dass Hebel in der Figur des Retters ein Gegenbild zum Führer des Aufstands und seinen Kameraden hätte zeichnen und damit seine Kritik hät te abmildern wollen. Gegen eine solche geplante Entsprechung der beiden Texte spricht

sowohl die (mutmaßliche) Entstehung zu verschiedenen Zeitpunkten wie der Umstand, dass die Beschreibung der geplanten Mordtat an Unschuldigen ge nau zu den „ungeheuren Grausamkeiten“ (287) passt, von denen eingangs der „An dreas-Hofer“-Geschichte berichtet wird. Eher denn als Gegensatz zur Schlussgeschichte des Kalenders ist die „Rettung einer Officiersfrau“ als Parallele zu „Andreas Hofer“ zu sehen: Gemeinsam ist ihnen das Thema der Grausamkeit des Kriegs, gemeinsam die Tendenz, die Auf ständischen

mit Ausnahmen negativ zu beurteilen. Krieg gegen die legitime (also bayrische) Obrigkeit ist in beiden Fällen Unordnung, selbst wenn die „Officiers frau“ gerettet, der bescheidene Retter - von den Bayern - mit „einem Trünklein Bier“ (277) belohnt und so für einen Augenblick die menschliche Ordnung wieder hergestellt wird. Das Thema der durch den Tiroler Aufstand nachhaltig gestörten Ordnung hat Hebel also schon beschäftigt, als er von Verhaftung und Tod Andreas Hofers noch nichts wusste. Exkurshaft möchte

ich erwähnen, dass diese Kalendergeschichte in Tirol nach gedruckt worden ist, 1879, unter dem Titel „Kleine Züge aus dem Tyroler Kriegs leben“ in überraschendem Umfeld, in der dezidiert katholischen wo nicht kleri kalen Wochenschrift Andreas Hofer 40 , mit der Einleitung: „Der alte Hebel erzählt in seinem ,Schatzkästlein‘ Folgendes [...]“. Abgesehen davon, dass dieser Einlei tungssatz suggeriert, es werde ein tatsächlicher Vorfall erzählt, gibt der neue Kotext auch eine ganz andere Leseanweisung

als der ursprüngliche: In dem Tiroler Blatt verherrlicht die Kalendergeschichte den Edelmut der Tiroler und ist nicht Bestand teil des Bilds einer nachhaltig gestörten Ordnung. Hebels „Andreas Hofer“ hat die Zeitschrift selbstverständlich ignoriert. Zurück zu Hebel: Ganz knapp erwähne ich drei weitere Texte des Kalenders auf das Jahr 1811, die als Kotext von „Andreas Hofer“ zum besseren Verständnis dieser Kalendergeschichte herangezogen werden sollten oder doch könnten. Der interes santeste davon

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Seite 12 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
sind. Selbst wenn man die ihre Bedeutung unterstreichende Platzierung der Andreas-Hofer-Geschichte im Schatzkästlein nicht überbewerten will, bleibt doch die Tatsache, dass Hebel sie gar nicht in das Buch hätte aufnehmen brauchen, musste doch ein in Württemberg erscheinendes Buch auf badische Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen. Wenn schon nicht die Stel lung von „Andreas Hofer“ in Kalender und Buch, so spricht doch die Aufnahme der Geschichte in dieses dafür, dass Hebel sie nicht als eine ihm aus politischen Gründen

aufgezwungene Pflichtarbeit empfunden hat. Angesichts des geringen Ab stands der Publikationsdaten war die Kalendergeschichte auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Buch noch ,aktuell'. Politische Gründe für eine kritische Darstellung Andreas Hofers hat es im Übrigen gegeben, und Hebel mag sie sich zu eigen gemacht haben. Baden hat als Rheinbund- Staat wie Bayern zu den großen Gewinnern der napoleonischen Neuordnung des al ten Reichs, in diesem Fall des Friedens von Preßburg (1805) gehört

, ist kaum anzunehmen. 18 Es kam in den neuen badischen Territorien zwar nicht zu nennens wertem Widerstand gegen die neue Obrigkeit, aber es mag Hebel und der badischen Regierung, die ja auch allerhand Reformen im Sinn der Aufklärung durchführte, nicht sinnlos erschienen sein, mit dem abschreckenden Exempel Andreas Hofers vor im merhin denkbaren Revolten zu warnen. (Dass Württemberg nicht anders als Baden den Veränderungen in den Jahren nach 1800 einen bedeutenden Zuwachs des Ter ritoriums wie der Zahl

der Einwohner zu verdanken hatte, einen Zuwachs, der viel fach wie im Nachbarstaat aus katholischen ehemaligen Vorderösterreichern bestand, machte Hebels „Andreas Hofer“ gewissermaßen auch für Tübingen aktuell.) Zuerst sollen Erzählweise und Aufbau der Geschichte analysiert werden. Daraus ergibt sich eine Charakterisierung von Hebels kritischem Andreas-Hofer-Bild. Dann werde ich einen Blick auf die Stellung der Geschichte im Kotext des Mediums, des Kalenders auf das Jahr 1811, versuchen, die vielleicht

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Seite 34 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Wissenschaft Geschichte Der „Generale Barbone“ Andreas Hofer und sein „Heldenbart“ Von Andreas Oberhofer und Karin Schneider Jakob Plazidus Altmutter, Andreas Hofer, 1809 (?).Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Ku nstg esch ichtl ich e Sammlungen, Gemälde 1273. 1. Einleitung: Bärte - Helden - Mythen F olgt man Gustave Le Bon, haben „die legendären Helden, nicht die wirklichen Helden [...] Ein druck auf die Massen gemacht“ 1 . Diese Feststellung trifft auch auf den Tiroler „Helden“ Andreas Hofer

Gedächtnis“ 3 Tirols ist Andreas Hofer fest eingeschrieben als Kämpfer gegen die Franzosen und die mit ihnen verbündeten Bayern, die seit 1805 im „Land im Gebirge“ eine Regierung nach absolutistischem und zentralistischem Modell zu etablieren versuchten. Andreas Hofer gilt als jener, der das Land „befreit“ hat, d. h., der sich für die Wiederherstellung früherer Verhältnisse, die Rückkehr Tirols unter das Haus Habsburg, eingesetzt und für dieses Ideal einen „Märtyrertod“ erlitten hat. Er ist ein Teil

der Tiroler Landesidenti tät, wobei der Name „Andreas Hofer“ nur wenig mit der historischen Figur, die am 20. Februar 1810 in Mantua wegen Hochverrats hingerichtet wurde, gemein hat. Hofer war und ist, wie das Konzept des „Helden“ generell, ein Katalysator nationaler, respektive tirolischer Sinn stiftung und bietet nur vermeintlich ein Orientierungsmuster. Seine Figur reprä sentiert nicht mehr den historischen Akteur, sondern steht für Werte und Tugenden, mit welchen sich ein großer Teil der lokalen

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Seite 22 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Wissenschaft Literatur Anschrifi: Univ-Prof. Dr. Sigurd Paul Scheichl Institut für Germanistik Universität Innsbruck Christoph-Probst-Platz A-6020 Innsbruck Ohne dass ich die Spekulation zu weit treiben möchte, könnte man sogar das Nebeneinander von „Unverhofftes Wiedersehen“ und „Andreas Hofer“, die im Kalender nur durch „Drei Worte“ und „Zustand von Europa“ - beide nicht im Schatzkästlein - voneinander getrennt sind, im Schatzkästlein also unmittelbar aufeinander folgen, als wechselseitige

, ist auch in der Andreas-Hofer- Geschichte zu vermuten: Man habe der jeweiligen legitimen Ordnung zu gehor chen; Krieg und Aufstand, die den Menschen nicht enden wollendes Leid bringen, gehören von vornherein zu den großen Übeln, was immer die Beweggründe dafür sind - die eben deshalb hier ausgespart bleiben; man soll über die möglichen Fol gen seines Tuns nachdenken, bevor man, womöglich verblendet, zu handeln be ginnt. Das sagt Hebel nur indirekt, aber der Fall Andreas Hofer, wie er von ihm dar gestellt wird, zwingt

uns so zu denken. Vielleicht lesen wir den Text genauer, wenn wir einen Vergleich mit dem historischen Andreas Hofer gar nicht erst versuchen, sondern in der titelgebenden Gestalt der Kalendergeschichte eine Figur Hebels, ei nen Typus sehen, der zufällig (oder aus Gründen des Wirkungskalküls) den Namen eines realen Menschen trägt, aber in seiner Funktion eher mit dem Handwerksbur schen aus „Kannitverstan“ vergleichbar ist. In „Andreas Hofer“ ist es der Typus des Verwirrten und Verblendeten

, vor dem der Hausfreund warnen will - nicht zuletzt im Sinn der Volksweisheit des Sprichworts. Etwas mehr als 20 Jahre nach Hebels Kalendergeschichte, in einer durch die Erfahrung der Befreiungskriege (und des ersten polnischen Aufstands 41 ) geprägten Phase der Andreas-Hofer-Rezeption hat der Vormärz-Liberale Julius Mosen in „Zu Mantua in Banden“ den Refrain „Ganz Deutschland ach in Schmach und Schmerz“ formuliert. Zumindest das offizielle Baden - dem Johann Peter Hebel aufgrund sei ner Funktionen zuzuordnen

ist - scheint 1810 diese Schmach und diesen Schmerz nicht gespürt, wohl aber an die Schmerzen der Opfer gedacht zu haben. 41 Vgl. dazu Sigurd Paul Scheichl: Das Andreas-Hofer-Lied. Zum 200. Geburtstag des Dichters Julius Mosen. In: Der Schiern 77. 2003. H. 8/9. S. 115-122. Hier 116. DERSCHLERN 20 & OS

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Seite 9 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
1810 bei der französischen Mi litärregierung noch herrschende völlige Ungewissheit über den tatsächlichen Aufenthalt Hofers; sie führte offen sichtlich dazu, dass selbst so unwahr scheinliche Regionen wie das winterlich verschneite unwegsame Gelände des Schneebergs „mit aller Anstrengung“ ausgekundschaftet werden sollten. Anschrift: Dr. Magdalena Hörmann- Weingartner Hunoldstraße 10 A-6020 Innsbruck 1 So fast gleichlautend in der gesamten Litera tur. Vgl. zuletzt Andreas Oberhofer, Weltbild

eines Helden, Schlernschriften 342, Innsbruck 2009, 42. Meinrad Pizzinini, Andreas Hofer, Innsbruck 2008, 244, erwähnt einen rund sie benwöchigen Aufenthalt Hofers in der Mäh derhütte auf der Pfandleralm, Stampfer gibt allerdings den 2. Dezember als Datum für den Rückzug auf die Pfandleralm an: Cölestin Stampfer, Andreas Hofer, Freiburg 1874, 222. 2 Das Einvernahmeprotokoll der Anna Hofer ist publiziert bei Werner Köfler/Wolfgang Pfaund- ler,Tirol im Jahr 1809 in zeitgenössischen Be richten, München 1984

, 252. Es verdient als authentisches Zeugnis besondere Aufmerk samkeit. Als zentrale Veröffentlichung zum Thema wird in Kürze das vom Museum Pas seier herausgegebene Werk „Andreas Hofer und die Passeirer im Jahr 1809" von Werner Graf erscheinen. Ich danke Dr. Werner Graf für seine wichtigen Hinweise. 3 Vgl. u. a. das verlässliche Werk von Josef Rapp,Tirol im Jahr 1809, Innsbruck 1852, 795. Andreas Hofer soll sich bereits nach der zwei ten Bergiselschlacht mehrere Tage (von 2.-5. August 1809

/10 war besonders schnee reich und führte gerade im Gebiet von Raben stein/Moos zu gewaltigen Lawinenabgängen. Beda Weber, Das Thal Passeier und seine Bewohner, Innsbruck 1852, 431. Vgl. auch Hermann Holzmann, Passeirer Berghöfe, in: Reimmichl Volkskalender, Südtirol 1966, 131-209, bes. 186. „... eben Im dießjährigen Winter fiel immerfort Schnee'/ heißt es auch bei Joseph Ladurner, Andreas Hofer Sand- wirths in Passeier letzte Lebenstage, Hs.TLM Dip. 713, 3. Anmerkungen CN DER SCHLERN 7

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Seite 42 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Wissenschaft Geschichte Außerhalb derTiroler Landesgrenzen führte die Beschreibung des Aussehens Andreas Hofers zu eigenwil ligen Umsetzungen. Linkes Bild im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Historische Sammlungen, Historische Graphiken, FB 6142/45. Rechts: Francesco Tomaselli, Andreas Hofer, Heerführer der Tyroler Insurgenten, 1809. Punktierstich, Privatbesitz. Aus: Wolfgang Pfaundler/Werner Kotier, DerTiroler Freiheitskampf 1809 unter Andreas Hofer. Zeitgenössische Bilder

, Augenzeugenberichte und Dokumente, München/Bozen/ Innsbruck 1984, S. 282, Abb. Nr. 166 wenn es in das Schwarze spielt, läßt uns Festigkeit des Geistes und des Körpers erwarten. Rohe und lange Haare an den Armen bezeichnen einen stolzen und unbeugsamen Geist.“ 45 Die Haar- und Bartfarbe wurde - zusammenfassend - von vier Faktoren abhängig gemacht: der geografischen Position, dem Alter, der Beschaffenheit der Säfte und dem Temperament. 46 2.3. Exkurs: Andreas Hofer als Phlegmatiker D ie Temperamentenlehre

in das 19. Jahrhundert aufrecht. 48 Andreas Hofer wurde wahrschein lich von Freiherrn Josef von Hormayr zu Hortenburg (1782-1848) erstmals einem Temperament zugeordnet: „Ho fer war rein phlegmatischen Tempera ments, von großer Liebe zur Ruhe, zur Gemächlichkeit, wohl auch darum ein Feind alles Neuen und Raschen [,..].“ 49 Diese Äußerung muss allerdings im Zu sammenhang mit Hormayrs Vorbehal ten gegenüber dem Sandwirt gesehen werden, dessen Verdienste er in dem Maß zu schmälern suchte, in welchem er seine eigenen

hervorhob. Das phleg matische Temperament, bestimmt durch den Saft Schleim (gr. phlegmd), wurde ohnehin mit der Farbe Weiß in Ver bindung gebracht und kann somit nur schwer auf den dunkelhaarigen Andreas

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Seite 49 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Geschichte Wissenschaft nenen „Geschichte Andreas Hofer’s, Sandwirths aus Passeyr, Oberanführers der Tyroler im Kriege von 1809“: „Aber Hofers merkwürdigster Bestandtheil, der ihm (zumal, wenn er zu Pferde saß) ein ganz besonderes Ansehen verlieh, und an der großen Rolle, die er gespielt hat te, zuverlässig entscheidernden Antheil hatte, als seine höchst mittelmäßigen Talente, war sein bis an den Gürtel rei chender, schöner schwarzer Bart. Es war überhaupt altes Herkommen der Wir- the

, der ab 1825 in seinen „Skizzen einer Fußreise durch Österrei ch“ bemerkte, das Tragen von Bärten sei „bei einigen Wirten Tirols“ erst nach 1809 - möglicherweise in Nachahmung Andreas Hofers - Mode geworden. 80 Zeitgenössische bildliche Quellen der Ereignisse von 1809, auf welchen auch Wirte dargestellt sind, weisen - mit Ausnahme von Andreas Hofer und Pater Joachim Haspinger - keine Män ner mit Vollbärten auf. Möglicherweise hatten die französischen Grenadiere in Hofers Zeit - „stolze Bartmänner

“ mit „wilde [n] Bärte [n]“ 81 - mehr Haare im Gesicht als mancher Tiroler Schütze oder Landstürmer. Beda Weber, der die Geschichte Andreas Hofers in seinem 1852 erschie nenen Werk „Das Thal Passeier und seine Bewohner“ ausführlich schildert, schreibt kurz und bündig: „Er [Hofer, Anm.] hatte ein volles rundes Gesicht, breite Nase, lebhafte braune Augen, schwärzliche Haare, und trug in Fol ge einer Wette seit dem Eintritte der baier. Herrschaft im Jahre 1850 [recte: 1805] einen langen schwarzen Bart

, er habe „den seltsamen Mann“, gemeint ist Andreas Hofer, auf einem Markt in Latsch kennen gelernt und beim ersten Anblick „über seinen wunderlichen Bart“ gelacht. 84 Der Sandwirt selbst scheint auf die Haarpracht stolz gewesen zu sein, was sich nicht nur in einer sorgfältigen Pfle ge manifestierte. Als er sich im Juli 1809 in Sachsenburg in Kärnten aufhielt, er fuhr er offensichtlich vom Brauch, sei ne Person zu parodieren. Er warf dem Unterhändler, dem italienischen Haupt mann Malfatti, vor, man habe in Mai land

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Seite 55 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Geschichte Wissenschaft Losgelöst von dieser Dynamik ent wickelte Hofers Bart nicht nur im oben nachgezeichneten Diskurs der Zeitgenos sen, sondern auch in der heutigen Rezep tion eine eigene Bedeutung als Hofers „typisches“ Attribut. Sind moderne Por träts des Sandwirts noch so abstrakt - der Bart darf als Erkennungszeichen nicht fehlen. 114 Illustrativ dazu ist das Beispiel der Fresken Max Weilers (1910-2001) im Hauptbahnhof in Innsbruck, auf welchen Andreas Hofer ohne Gesichtsbehaarung

mit seinem Bart ihre Spuren: Der Beitrag von Roland Sila mit dem Untertitel „Andreas Hofer und Satire - ein Befreiungsschlag“ trägt be zeichnenderweise den Haupttitel „Des Hofers langer Bart“. 116 Der Sandwirt und sein Bart - so kann gefolgert werden - sind eng auf einander bezogen. Ein bartloser Hofer hätte wohl - zumindest urteilten so viele Zeitgenossen - des für die Leitung des Aufstandes von 1809 notwendigen Charismas ermangelt. Gleichzeitig und folgerichtig entwickelte dieses Attribut ein Eigenleben

und der Ereignisse von 1809 Geltung zu verschaffen. Ob der ir rationale Mythos durch rationale Argu mente seiner „Magie“ jedoch entkleidet werden kann, ist fraglich. Anschrift: Mag. Dr. Andreas Oberhofer Institutfür Geschichtswissenschaften & Europäische Ethnologie Innrain 52 A - 6020 Innsbruck Mag. Dr. Karin Schneider, MAS Institutfür Geschichtswissenschaften & Europäische Ethnologie Innrain 52 A - 6020 Innsbruck 1 Gustave Le Bon, Psychologie der Massen, Stuttgart 6 1935, S. 34. 2 Roland Barthes, Mythen

2006, S. 145-158, hier S. 145. 5 Waltraud Heindl, Idole und Erinnerung. Ge danken zu (religiösen) Mythen in Zentraleu ropa; in: Moritz Csäky, Klaus Zayringer (Hg.), Pluralitäten, Religionen und kulturelle Codes (Paradigma: Zentraleuropa 3), Innsbruck- Wien-München-Bozen 2001, S. 31-48, hier S. 31. 6 Heindl, Idole und Erinnerung, S. 31. 7 Ebd., S. 33. 8 Vgl. Karin Schneider, Tiroler Rebellen im Ki no. Andreas-Hofer-Rezeption im Spielfilm; in: Brigitte Mazohl/Bernhard Mertelseder (Hg.), Abschied

vom Freiheitskampf? Tirol und 1809 zwischen politischer Realität und Verklä rung (Schlern-Schriften 346), Innsbruck 2009, S. 461-502. 9 Meinrad Pizzinini, Andreas Hofer. Seine Zeit - sein Leben - sein Mythos, Innsbruck-Wien- Bozen 2008. 10 Joseph Rapp, Tirol im Jahre 1809. Nach Ur kunden dargestellt, Innsbruck 1852, S. 577. 11 Vgl. August Mau, Bart; in: RE III, 1 (Stuttgart 1897), Sp. 30-34. Rolf Hurschmann, Bart; in: Der Neue Pauly, Altertum, Bd. 2, Stuttgart- Weimar 1997, Sp. 456-458. Eva Ebel, Bart

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Seite 19 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Literatur Wissenschaft Das Irritierende daran ist für uns, dass Hebel keinen Blick für die Störung der Ordnung durch Napoleon 32 zu haben scheint, sondern die Schuld am Chaos allein den Rebellen in den Alpen zuschreibt. Napoleon war für ihn eben der Mann, der nach den Revolutionsjahren die Ordnung wiederhergestellt hatte - und die Revolu tion hatte Hebel im nahen Eisass genau beobachten können. Die Deutung von „Andreas Hofer“ als einer - keineswegs „literarisch schwachen

“. 37 Zurecht weist Sprenger auf die pädagogische Funktion hin, die Hebels Schriften wohl auch in seinen eigenen Augen, denen eines Schulmanns, gehabt haben. Hebel denkt somit ganz ähnlich wie eine gleichzeitig entstandene, 1810 veröf fentlichte bayerische, selbstverständlich Hofer-kritische Publikation, Andreas Hofer und die Tiroler Insurrection im Jahre 1809 38 , in der es, wohl mit unmittelbar politischer Absicht, heißt, man werde sich noch lange mit Hofer beschäftigen - mit Hofer als einem Exempel

„zur Warnung und Belehrung“. 39 Nun steht im Kalender auf 1811, einige Seiten vor „Andreas Hofer“, noch eine zweite Geschichte, eher eine Anekdote, die im Tirol des Jahres 1809 spielt und auch den „Sandwirth Hofer“ (275) nennt: „Rettung einer Officiersfrau“ (274-277), ebenfalls mit einer Illustration versehen (276), auf die der Text verweist (277); ohne die Bemerkung über das (dort wohl fehlende) Bild findet sich die Geschichte im Schatzkästlein wieder. Es geht darin um „die edle Denkungsart eines Menschen

auf der zugehörigen Illustration zu sehen ist, wird im abschließenden Satz der Ka lendergeschichte ausdrücklich gesagt. 32 Vgl. ebenda. 167. 33 So das Urteil Rohners 1981 (Anm. 1). 100. 34 Burger; von Matt 1992 (Anm. 4). 509. 35 Ebenda. 36 Zur schon öfter beobachteten Wichtigkeit des Ordnungsgedankens bei Hebel siehe Sprenger 2006 (Anm. 19). 142 f„ 148 ff. 37 Ebenda. 168. 38 [Johann Adam Bergk]: Andreas Hofer und dieTiroler Insurrection im Jahre 1809. o. O. [München und Nürnberg] 1810. Angabe nach Meinrad

Pizzinini: Das Jahr 1809 und Andreas Hofer im Spiegel der Historiografie des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Brigitte Mazohl; Bernhard Mertelseder (Hg.): Ab schied vom Freiheitskampf?Tirol und ,1809' zwischen politischer Realität und Verklärung. Innsbruck: Wagner 2009. 241-269. Hier 242. = Schlern-Schriften 346. Der Name des Verfassers der anonym veröf fentlichten Schrift nach Pizzinini. 39 Bergk, ebenda. 4; zitiert nach Pizzinini, ebenda. CM DERSCHLERN 17

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Seite 47 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Geschichte Wissenschaft „Andreas Hofer mit dem beynamen Barbon ungefaehr 44 Jahre alt, gebürtig von Passegne [im französischen und italienischen Text: „Passeyre“] im Tirol gewesener Wirth, Anführer der Tirole- sischen Insurgenten, von Statur 5. Schuh 8. Zoll hoch von laenglich rundem An gesichts, roethlichter und befleckter Ge sichtsfarbe, offener Stirne, schwarzen Augen, Augenbraunen [sic], Haaren, und langen Bart von gleicher Farbe.“ 74 Die exponierte Stellung des Bartes in der Beschreibung

Hofers findet sich hingegen in modernen Rezeptionsmo dellen: Im Film „Andreas Hofer - Die Freiheit des Adlers“ legt Drehbuchautor Felix Mitterer Erzherzog Karl die Be zeichnung Hofers als „Bartmann oder Buschmann“ mit eindeutig pejorativer Konnotation in den Mund. Karl weist darauf hin, der nach Wien gekommene Hofer würde in der Haupt- und Resi denzstadt durch seinen „Aufzug“ und sein „Ungetüm von B[art]“ die Auf merksamkeit der Spione auf sich zie hen. Die erste - allerdings erst nachträg lich

festgehaltene - Beschreibung von Andreas Hofers Bart stammt, wie er wähnt, von Erzherzog Johann. Bei einer Rundreise durch Tirol im Jahr 1804 ritt er auch durch das Passeiertal und am Sandhof, dem Bauerngut und Wirts haus Andreas Hofers, vorbei. Johann wird später schreiben: „Als ich von St. Martin bei dem Wirtshause am Sand vorbeiritt, fiel mir eine große starke Gestalt mit einem schwarzen Bart auf, welche mir die Gesundheit ausbrachte. Dies war das erstemal, daß ich Hofer sah.“ 75 In den Quellen finden

sich keine Angaben über die Beweggründe Hofers, sich einen Bart wachsen zu lassen. In einigen Gerichtsakten aus der Lebens zeit des Sandwirts ist zwar vom Bart die Rede (siehe unten), aber nicht über dessen Sinn und Zweck. Zwar dürfte es sich dabei in erster Linie um einen Körperschmuck gehandelt haben, doch überliefert die Literatur über 1809 aus dem frühen 19. Jahrhundert noch wei tere - wohl legendenhaft überformte - Informationen über den Ursprung. Verschiedene Erzählungen berichten über Andreas Hofers

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Seite 18 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Literatur Wissenschaft Die letzten beiden Sätze lauten: [...] und daselbst erschoßen. In solchen Wassern fängt man solche Fische. Vorgethan und nachbedacht, hat manchen in groß Leid gebracht. (291) An den Schluss setzt Hebel also zwei sprichwörtliche oder sprichwortähnliche Wen dungen, in Tempora des Allgemeingültigen. Wiederum ein Mittel, das Exemplarische an der Geschichte Andreas Hofers zu unterstreichen - ein Zweck, dem auch die an deren, in diesem Text relativ häufigen Sprichwörter

an hervor gehobener Stelle auf das oder ein Thema der Kalendergeschichte, auf die schlimmen Folgen öffentlicher Unordnung, der „trüben Wasser“. Analoges gilt für die Korrespondenz zwischen „Viel Köpfe, viele Sinne, manchmal gar kei ner“, einem erweiterten Sprichwort im 3. Satz (287), und dem „Vorgethan und nach bedacht“ des letzten. Auch das zielt auf die Unordnung, die durch vorschnelles, köpf- und vielleicht auch treuloses Handeln (wie das Andreas Hofers) entsteht und den Menschen „groß Leid“ bringt

. Dass „Vorgethan und nachbedacht, hat man chen in groß Leid gebracht“ (291) zum letzten Satz des Schatzkästleins wird, macht vielleicht noch deutlicher, wofür Hebel, der Pädagoge, in „Andreas Hofer“ plädiert und warum diese Kalendergeschichte ein wichtiges Werk des Autors ist. Die Kritik an der Unordnung, am Umsturz der Regeln, die der Hausfreund mit diesen Wendungen an dieser Stelle übt, entspricht genau den Gegensätzen zwi schen Gastwirt und Hofburg, „Städtlein oder Thal“ und ganzer Grafschaft

zwischen den sich wiederholenden Verkleinerungs formen bei der Vorstellung Andreas Hofers („manch Schöpplein Wein [...] manch Stücklein Kreide [...] ein Häuptlein Vieh [...]“; 288) und den großen Aufgaben, die er übernimmt, oder in der Beschreibung der einander ablösenden militärischen Erfolge und Misserfolge der Tiroler (287). Explizite Urteile des Erzählers (wie „un geheure Grausamkeiten“, 287) tragen zu diesem Bild einer gründlich gestörten Ordnung bei - und Kriege, die so großes Leid für die Bevölkerung nach sich zo gen

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Seite 13 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Literatur Wissenschaft nenden Kalender Der Rheinländische Hausfreund, den er über Jahre hinweg nicht nur redigierte, sondern auch mit eigenen Texten füllte, darunter so berühmten wie „Kannitverstan“ und „Unverhofftes Wiedersehen“. Die Ereigniskette, aus der Hebel für „Andreas Hofer“ auswählt, der Tiroler Aufstand von 1809, kann als bekannt vorausgesetzt werden. Interessant sind die Schwerpunkte, die er setzt. Ausgeblendet werden die politischen Hintergründe, die zwei Mal (1805 und wieder 1809

ist, kommen weniger die kriegerischen Ereignisse vor - der Bergisel gar nicht, die Kämpfe nur sehr allgemein - als die Monate, in denen Andreas Hofer in der Innsbrucker Hofburg, „in dem großen Fürstlichen Re sidenzschloß zu Insbruck“ (288), residierte, und seine Gefangennahme; das Ende des Sandwirts wird wiederum ganz gerafft erzählt: „So wurde er von einer starken militärischen Begleitung unter Trommelschlag durch das Land nach Italien nach Mantua ins Gefängniß gebracht, und daselbst erschoßen“. (291

Widerspruch zum Text: Das ganzfigurige Bild Hofers in der typischen Sandwirt- Adjustierung, obendrein in Feldherrnpose, entspricht der Geschichte des Haus freunds viel weniger als das Bild des Verhafteten im Kalender. Die spätere Ausgabe 19 Gerhard Sprenger: Johann Peter Hebel: Erziehung zum „Rechten" In: Internationales Archiv für die Sozialgeschichte der deutschen Literatur 31. 2006. H. 2. 142-173. Hier 168. Mit „Andreas Hofer" beschäftigt sich Sprenger nur einmal und ganz knapp (153), durchaus im Sinn

der vorliegenden Arbeit. 20 Dazu Heinz Müller-Dietz: Recht und Ordnung bei Johann Peter Hebel (1987). In: HM-D: Grenzüber schreitungen. Beiträge zur Beziehung zwischen Literatur und Recht. Baden-Baden: Nomos 1990. 245-258. Hier 250 f. Müller-Dietz führt eine Fülle von Kalendergeschichten zu diesen Themen an; „Andreas Hofer" kommt in seiner Studie nicht vor. 21 Hebel, Schatzkästlein (Reprint) (Anm. 17). 342. Die Ausgabe von 1812 konnte ich nicht einsehen; sie enthält laut Rohner 1981 (Anm. 1). 56, übrigens

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Seite 37 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
, „so daß man es als einen groß en Fehler ansah, dieser Zierde zu entbeh ren“ 18 . Sokrates wurde als „der weiseste Sterbliche seiner Zeit“ auf Persisch „der bärtige Lehrer oder der Lehrer mit dem langen Bart“ genannt. 19 Die Feststellung hingegen, der Bart sei prinzipiell ein Zeichen reiferen Al ters gewesen 20 , gilt nur bedingt wie auch das Beispiel des Sandwirts zeigt. Andreas Hofer hatte - folgt man der Aussage Erzherzog Johanns - spätestens 1804 seinen auffallenden Bart. Er stand damals im 37. Lebensjahr (die Aussa

ge Joseph Rapps, Hofer habe sich den Bart „bald nach Tirols Uebergang an Bayern“ 21 [1805] stehen lassen, ist somit fraglich). Der Zusammenhang zwischen Bartwuchs und Alter beruht darauf, dass „man daher von jemanden, der schon einen Bart hat, auch ein männliches, weises Betragen erwartet.“ 22 Die würdevolle und männliche Er scheinung Andreas Hofers fiel auch den Zeitgenossen ins Auge. Nach der Verhaf tung des Aufrührers traf ihn der fran zösische Offizier Charles Pierre Grisois in Bozen

und charakterisierte den Ge fangenen mit folgenden Worten: „Eine hohe Figur, breite Schultern, ein dichter schwarzer Bart, der ihm bis auf die Brust reichte und grau zu werden begann, und ein strenger, aber ruhiger und schicksals ergebener Ausdruck verliehen seiner Er scheinung etwas Ehrwürdiges, das mich sehr beeindruckte, eine patriarchalische Gestalt aus alten Zeiten.“ 23 Mit diesem „Pathos der Männlich keit“, konkretisiert in einem Vollbart, D./m Andreas Hofer . korrespondiert die Vorstellung des He roismus

“ den Bart mit den Offizieren, d. h. mit Militärpersonen, in Verbindung. Letz- Andreas Hofer. Frühe, in Mailand angefer tigte Druckgraphik. Bemerkenswert ist der besonders buschig dargestellte Vollbart. Tiroler Landes museum Ferdinan deum, Bibliothek, Dip. 1372, 216. Csl DER SCHLERN 35

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Seite 53 von 84
Datum: 01.02.2010
Umfang: 84
Geschichte Wissenschaft ristische Konsequenzen: Der Wild schönauer Major Jakob Margreiter, vul go Loy, wurde zu zwei Monaten Arrest verurteilt und in der Festung Rothen berg inhaftiert. Am 1. Oktober 1811 kam er frei, das Landgericht Rattenberg befahl ihm, seinen „langen Bart“ ab scheren zu lassen: „Offenbar vermu tete man - vielleicht in Erinnerung an Andreas Hofer und den ,Rotbart' Pater Haspinger - hinter dieser Barttracht eine aufrüherische Gesinnung“. 106 Margreiter zog einen Arzt zu Rate

, der ihm von der völligen Rasur abriet, da diese gesundheitliche Probleme mit sich bringen könnte. Margreiter rasierte sich also nur „allmählich“. 107 Nicht nur das Tragen von Bärten an sich, sondern auch deren Farbe und Beschaffenheit gab immer wieder An lass zu Spekulationen von Zeitgenos sen. So entsprach Andreas Hofer mit seinem schwarzen bzw. dunkelbraunen Bart einem tradierten Klischeebild, in dem immer wieder Bezüge zwischen Haarfarbe und Temperament hergestellt wurden. Auch Pater Joachim Haspinger eignete

antwortete hier auf am 9. Juli 1807: „Wenn der Kläger schon unter einem schwarzen Barth ein so schwarzes Gewissen zu finden glaubt, was soll man erst von einem rothen Barth denken, wellcher nach dem gemei nen Sprichwort so sehr verschreiet ist“. 108 Während der schwarze Bart als „ehrwür dig“ angesehen wurde, galt der rote Bart „nach dem gemeinen Sprichwort“ als „verschreiet“. Alois Menghin beschreibt in seiner 1909 erschienenen populären Darstellung „Andreas Hofer und das Jahr 1809“ Franz Raffl

, den „Verräter“ Andreas Hofers und „Judas von Tirol“, als „kleines, rothaariges und triefäugiges „Touristische Aus schlachtung", in: PeppiTischler, Silvius Luis & Schnauzer, Bozen 1997, S. 106. CN DERSCHLERN 51

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