¬Die¬ Sprüche Walther's von der Vogelweide über Kirche und Reich : Vortrag zum Besten der Errichtung des Walther-Denkmales in Bozen, gehalten am 20. Februar 1875 im Universitätssaale zu Innsbruck
Erfolg, dass sie Tausenden wieder zu Herzen gedrungen sind. x ) Die zweite Frage ist, was denn die tiefere Ursache war, die Kirche und Reich so hart aneinander brachte, und ob es ungeachtet der klaren Erkenntniss der Gefahr, in der beide schwebten, keine Rettung gab. Bei dieser Frage, hochverehrte Versammlung, sei es mir gegönnt, Ihre Aufmerksamkeit länger in Anspruch zu nehmen. Es ist die glänzendste Zeit des deutschen Reiches, ja die glänzendste Epoche des Mittelalters, der unser Dichter ange
hört. Es schien, als sei das herrliche Königsgoscklecht der Staufer geboren, um noch einmal die ganze Kraft des Reiches zu entfalten, ehe es vor den neuen Schöpfungen und Gebilden zurücksank. Als Walther, der grösste deutsche Lyriker des M. A. seine Lieder sang, da regierte der gelehrteste Papst des Mit telalters, Innocenz IIL, und der geistvollste Kaiser, Friedrich II., und nicht lange vorher war der ritterlichste Sultan, Saladin, seinem Gegner Friedrich Rothbart in's Grab gefolgt. Die Kreuzzüge
versammelten einen Heerbann edler Fürsten und Ritter, unter denen nicht die letzten die Herzoge von Oester reich waren, ans dem Geschlechte der Babenberger: „Die hdde üs Ostetriche heten ie gehoveien muot 11 . Es war eine Zeit voll männlicher Kraft, in der die That unmittelbar dem Gedanken folgte, wie der Pfeil vom Bogen fliegt; sie war reich an Beispielen aufopfernder Treue, aber auch nicht frei von wilder Gewaltthat, und die frevelhafteste *) Der welfisch gesinnte Dichter Thomasin von Zercläre aus Friaul
bemerkt in seinem „Wälschen Gast“, dass durch Walthers Bede Tausende bethört worden seien. Walter von der Vogelweide, herausgegeben von Franz Pfeiffer. (Deutsche Classiker des Mittelalters. I. Band.) S. 222.