¬Die¬ Wehr-Reform in Oesterreich-Ungarn von 1866 bis 1873
jedes nach dem Gelingen mit Begeisterung betrachtete Werk unter dem Missvergnügen der Betheiligten zu Stande. Auch die Armee-Reform ist nicht ohne Aeusserungen dieser Eigentümlichkeit durch geführt worden, ja noch heute wird das Riesenwerk nicht allgemein mit freudiger Ueberzeugung und als Grundlage für weitere Bestrebungen angesehen; noch herrscht hie und da der Geist der Skeptik und des Misstrauens, unter den Bürgern aber eine grundlose Furcht wegen der Zukunft. Aber jener Pessimismus
, der Geist und die Gesinnung der Armee seien durch die Vernichtung altererbter, liebgewordener Institutionen und Traditionen, wenn auch nur vorübergehend, erschüttert worden. Die Armee kann auf die verflossenen Jahre seit dem Kriege 1866 mit erhöhtem Selbstgefühl, mit berechtigtem Stolze zurückblicken. Sie hat an Arbeit und Selbstüberwindung das Aensserste geleistet. Kaum hatte sie sich aus dem Taumel des Pessimismus losgerungen, so trat eine ganze Reihe von tiefgreifenden politischen Umwälzungen
ein, welche die Armee zwangen, mit vielen ihrer Ueberlieferungen zu brechen. Diese Umwälzungen vollzogen sich nicht ohne wehthuende Eindrücke. Die zur Herrschaft gelangten Ansichten, die rasch wechselnde Gesinnung, wie sie jedem leichtbeweglichen Volke innewohnt, richteten zum grössten Theile ihre Spitze gegen die Armee. Um die Wette be eiferte sich ein Th eil der Presse, die Schau-, ja selbst die Rednerbiihne, die Gefühle der Mitglieder des Heeres zu ver letzen; ein doctrinärer Ton, eine cyuische Leichtfertigkeit
schmähte ihre Ideale, mäkelte an ihren Bedürfnissen, verhöhnte selbst ihre wissenschaftlichen Bestrebungen. Allen diesen Angriffen stand die Armee, in rastloser Thätigkeit verharrend, gleich- mütliig gegenüber; sie hat nie die Rechte Derjenigen missachtet, welche sie schmähten, und nirgends hat sie sich jener Ausschreitungen schuldig gemacht, welche in einem anderen Staate als Ausflüsse militärischer Vollkraft erklärt zu werden pflegen und die hier in manchen Fällen das Gebot der Nothwehr hätte
entschuldigen können. Fast plötzlich warf eben das Heer seinen früheren abgeschlossenen Charakter von sich und bewies Denjenigen, welche sie noch immer eine Kaste zu nennen beliebten, eine echte staatsbürgerliche Gesinnung. Mit Selbstachtung ging die Armee über die häutigen Schmähungen des Auslandes hinweg und lernte vom Auslande, wo sie es nöthig fand; ja noch mehr — eine rapide Entwicklung der militärischen Literatur, deren Entfesselung ein Verdienst der neuen Epoche ist, hat bereits