. Jin Abgeordnetenhause stimmt es wieder ein mal ganz und gar nicht. Große Arbeiten, so das Budget, das Wasserstraßengesetz, die Staatsange stelltenvorlage einschließlich der DienstBragmatik, die Finanzgesetze, die Wehrreform, dann noch eine lange Reihe kleinerer Vorlagen sollten nach dem ursprünglichen Arbeitspläne vor den Sommer ferien erledigt werden. Heute ist die Regierung froh, wenn sie statt des Budgets das Budgetprovi sorium, statt des Wehrgesetzes das alte Rekruten kontingent bewilligt
erhält. Erledigt wird wahr scheinlich noch die Dienstpragmatik werden, alle an deren Vorlagen aber werden, teils zur Freude, teils zum Leidwesen der Regierung, auf den Herbst zurückgestellt. Wir Sozialdemokraten sind an der Erledigung der Staatsnotwendigkeiten nicht interessiert und können es leicht ertragen, wenn die Wehrreform, die dem Volke unerhörte neue Blutopfer, wenn die Finanzreform, die dem Volke wahnsinnige neue Steuern bringen soll, noch lange Jahre beraten werden und unerledigt bleiben
. Nicht so gleichgül tig ist uns aber die Arbeitsfähigkeit, des Parla ments an sich, denn unter seiner Arbeitsunfähigkeit leidet die sozialpolitische Gesetzgebung, leidet das Wirtschaftsleben und leidet die Arbeiterschaft. Nicht gleichgültig kann es uns sein, ob ein starkes oder ein schwaches Parlament der Regierung gegenüber steht. Unser Parlament hat keine, wenigstens keine bahnbrechende Kraft, es wird fast täglich von Fieberschauern geschüttelt; bald bedroht die eine, bald die andere Gruppe
seine Arbeitsfähigkeit — es ist das treue Spiegelbild des Staates, der an der Inferiorität seiner bürgerlichen Parteien und der Unfähigkeit seiner Regierungen immer tiefer in den Suiupf gerät, in dem er, wenn es so fort geht, unfehlbar ersticken muß. Was ist das Hemmnis der Arbeitsfähigkeit des Parlaments? Die mangelnde Majorität! Und was hindert die bürgerlichen Parteien, eine Majo- rität zu bilden und die Regierung zu ergreifen? Der nationale Streit! An diesem Streit, der all mählich in eine Hysterie ausartet
, geht Oesterreich zugrunde; er korrumpiert das öffentliche Leben, züchtet die Arroganz der Regierung, die wieder lähmend auf die Arbeiten des Parlaments wirkt; er unterbindet die wirtschaftliche Entwicklung! Das politische Demagogentum, das die christlich soziale Partei verkörpert und nun im Deutschen Nationalverbande sich breit macht, konnte nur ge deihen, weil einem großen Teil der Bevölkerung durch den jahrzehntelangen nationalen Kampf das Verständnis für realpolitische Fragen völlig abhanden