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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 16.10.1935
Physical description: 10
Sette 158. Feierabend Nr. 40. Gottfried sah sie mit klarem, offenem Blick an. Nein, t»as war ja alles nur Eifersucht, blanker Unsinn, was Marianne ihm jetzt fo verbittert vorwarf. Deshalb sagte er einfach und bestimmt: „Ich habe nur dich gern, Marianne, das kannst du mir glauben. Aber ich sehe vorläufig keine Möglichkeit für unsere Heirat. Was da Ferri vorschlug, ist nichts für mich. Wir können ja noch warten. Wir find noch jung und lernen zu." Weinerlich klang es aus ihrem Munde: „Das sagst

du mir nur zum Trost, und weil du mich nicht zur Feindin haben willst." Voller Erstaunen schaute er sie an. „Zur Feindin? Warum solltest du denn meine Fein din sein?" „Weil du mich zurückstotzest, immer und immer! Und du denkst am End, ich nähme dafür Rache. Bei uns da heim, wo ich zuletzt diente, kam das ein paarmal vor. Da schüttete ein Mädel dem untreuen Liebhaber Salz säure ins Gesicht, und eine andere stach ihn in die Brust, mit einem Küchenmesser." Gottfried war nun auch erblaßt, aber er scherzte: „Hast

kann." Sie machte sich trotzig von seinen Armen frei. „Du nimmst nichts ernst, du. Du kannst lachen, aber mir ist anders zumute. Ich verstehe es gut, wenn so ein Mädel sich rächt. Ich würde dir keine Salzsäure ins Gesicht schütten und auch nicht nach dir stechen. Ich habe eine andere Waffe . . ." Sie schwieg mit aufflammendem Blick und zittern den Lippen. Gottfried verstand sofort. Mit finsterem Gesicht erhob er sich und sagte still: „Ich verstehe: du würdest mein Geheimnis verraten, ein Geheimnis

, das ich dir allein anvertraute, weil ich dachte, daß du ein verläßlicher Mensch bist. Wie man sich doch täuschen kann! Nun fällt mir der Abschied von dir nicht mehr so schwer. Marianne, ich halte dich nicht. Geh und erzähle es allen, wer ich bin und daß ich einen falschen Namen trage." Er wandte sich ab und ging den Weg zurück. Die kam ihm nachgelaufen und flehte: „Gottfried, aber Gottfried! Es ist doch nicht so ernst gemeint — wie kannst du nur glauben — eher sterbe ich doch, bevor ein Wort davon

Händedruck. Beide trugen bitteres Weh und eine ungestillte Sehnsucht mit nach Hause. Cs war Herbst geworden, und das Leben ging seinen harten Arbeitstag weiter. Gottfried hatte jetzt ruhigere Zeiten, denn die Angst war von ihm genommen, daß der Bauer seine Unkenntnisse entdecken und ihn da vonjagen könnte. Lena kam in ihrer stillen Art oft herüber und be sprach die Herbstarbeit mit ihm und der Riedhoferin. Wenn die Alte bei den Gottfried noch unbekannten Arbeiten draußen nicht dabei sein konnte, war Lena

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 13.11.1935
Physical description: 10
hatte sich um Lena beworben, die den hübschen Knecht des Nachbargutes vorzog. Und um Marianne und Gottfried hatte dieses Geflüster ge schwebt. Ja, die Jugend! Er wandte sich nach dem Hostor Försters zurück und sah, daß die schöne Frau Marianne das Dorf entlang hinaufgrng. Wollte sie ihren Mann aus dem „Bären" holen? Tat nicht gut! Oder auf dem Rückweg seinen Begleiter da treffen? Tät noch weniger gut, ging ihn «stier nichts an. Vor seinem eigenen Hoftor blieb der Vorsteher ste hen und beide sprachen

noch Belangloses vom Anbau und dem Wetter. Dann verabschiedete sich Gottfried und ging den Weg zurück. Er sah, daß Marianne nicht mehr im Tor stand. Aus dem Wirtshause drang Lärm. Der Riedhofer blieb einen Augenblick stehen und horchte. Ganz deut lich hörte er seinen Namen aus dem Geschrei heraus klingen. Verächtlich lächelte er. Sie führten da drin die Sitzung in ihrer Weise fort, die ihnen besser zu sagte. Soeben schrie Ferri: „Was, diesem hergelaufenen Knecht wollt ihr wie die Hunderln folgen, Ihr seid

ja alle Schlappschwänze! Das tut er doch alles nur aus Ehrsucht. Es genügt ihm nicht, einen großen Hof an sich gerafft zu haben und ein reiches Weib erschwindelt, er will sich auch bei uns hervortun. Und ihr Narren lauft ihm ins Garn, dem Hergelaufenen, von dem man nichts weiß. Aber wenn ich nur reden wollt! Ihr tätet Augen machen!" Gottfried bebten die Knie, als er weiterging. Was sollte dieser letzte Satz heißen? Wußte er'am Ende etwas? Unsinn, beruhigte er sich selbst, da hätte er längst gesprochen. Hätte längst

, daß er was im „Bären" runterzuschwemmen hat. Die Lena hats gut, der ihr Mann kommt immer pünktlich heim." Gottfried ergriff ihre Hand, die nicht mehr fo hart wie einst war, und flüsterte: „Du, Marianne, du hast doch hoffentlich deinem Manne nie etwas von mir verraten?" Sie schüttelte ernst den Kopf. „Wie kannst du nur so etwas denken, Friedl! So bin ich nicht. Dich tät ich nie verraten! Und wenn ich es auch einmal angedroht Hab — damals im Wald — da dacht ich halt, das Herz tät mir vor Weh zersprin gen, aber heut

bin ich schon ruhiger." Gottfried blickte ihr forschend in die Augen. Ruhi ger? Wenn ihr Herz so war wie diese Augen, dann feeine Hand griff nach ihrem Arm. Er war kühl, weich und glatt. So weich wie ihre Lippen einst waren. Ein Schwindel erfaßte ihn, ein übermächtiges Ver langen. Er legte den Arm um sie und ging mit ihr den weißen, schlängelnden Pfad empor. Der kleine Busch stand dunkel und lockend. Beide schwiegen, nur ihre Herzen pochten laut und schwer. Gottfried ging fast mit ganz geschlossenen Augen

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 21.08.1935
Physical description: 10
©e 1le 126. Fek«rabentf Nr. 32. gönnen werden, auf den bald die Sonne brennen würde. Sie standen nedeneinander, und Lena erklärte ihm Griff und Schwung. Gottfried sah nah vor sich im kla ren Morgenlicht ihr farbloses Gesicht, das über -der Nase ein paar Sommersprossen hatte. Nein, die Züge waren nicht unschön, nur io ausdruckslos und matt. Leben und Feuer gehörten in diese blauen Augen, und das Haar hätte sie auch nicht so glatt zurückstveichen brauchen. Es war schön und reich, aber das sah

man gar nicht. Sie bemerkte seine Blicke, errötete und lachte: „Sie passen ja gar nicht aus! Was ist denn das? Soll ich zur Strafe fortlaufend Jetzt rasch einmal selbst probiert!" Nun setzte er seinen Ehrgeiz hinein, die schwere Kunst bald zu meistern. Eine Weile blieb sie bei ihm stehen, besserte hier und da aus, aber bald konnte sie sich auf einen Rain setzen und ihm zusehen. Die Sonne war heraufgekommen und schüttete über die dunstigen Wiesen ihre noch sanfte Glut. Gottfried warf Rock und Weste

ab und arbeitete mit ernstem Gesicht. Lena verwandte kein Auge von ihm. Es war ein Genuß, der schlanken, biegsamen Männer- gestalt zuzusehen, die sich im Schwünge wand und drehte und keine Ermüdung zu kennen schien. Er entfernte sich immer weiter von ihr, bis sie ihm zurief: „Gottfried, wir wollen eine Pause machen!" Er tat es ungern und rief herüber: „Ich bin so gut im Schwünge und hatte mir ein Ziel gesetzt." Sie schüttelte den Kopf. „Das wäre töricht. Sie haben heute sicher noch nichts im Magen. Ein Bauer

an die eigene Scholle, den zieht es nach der Stadt." Gottfried schüttelte den Kops. „Mich nicht, und ich habe gar keine eigene Scholle. Ach, wenn ich eine hätte! Nichts könnte mich glück licher machen, und wenn sie noch so klein wäre." „Waren Ihre Eltern vom Lande?" „Nur die Mutter. Mein Vater war ein kleiner Unter beamter in einer Fabrik. Ein echtes Stadtkind. Aber die Mutter hing immer mit Liebe an ihrem Heimats dorf. Ich war dort oft bei einem Bruder von ihr, der eine kleine Wirtschaft besaß. Vielleicht

mit, der Lorenz - aus Abenteuerlust, und weil er sich nicht mit dem Vater vertrug. Hätte er mir wenigstens einmal geschrieben, vielleicht hätte ich ihn verstanden, und hätte die Ver bindung zwischen uns wachhalten können. Aber er schrieb nie. Es war so, als ob man ein Licht auslöscht, auf einmal ist es weg. Ich vergaß und überwand, aber der Riedhof wird zugrunde gehen." „Zugrunde gehen? Wieso?" Erschrocken fragte es Gottfried. „Wie kommen Sie darauf, Fräulein Lena?" „Ach, lassen Sie doch das Fräulein

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 09.10.1935
Physical description: 10
gesehen hatte. Gottfried ging fast ganz zuletzt. Er kannte niemand von den Leuten, und keiner kümmerte sich um ihn. Da dachte er in einem Augenblick des Berlassenseins: „Ihr alle, die ihr jetzt schon das Erbe des Toten verteilt, die ihr mich überseht, als wäre ich ein Schuhfetzen — oder ein Stein auf dem Wege —, euretwegen war es schon ein Spatz, wenn ich ja sagte! Wenn ich will, kann ich hier beliebig schalten und walten, und ihr habt das Nachsehen. Es liegt nur an mir." Gottfried reckte

seine schlanke Gestalt hoch auf und war den ganzen Weg bis zum Friedhof fest entschlossen, der Bauer vom Riedhof zu werden. Nun sollte ihn nichts mehr an der Verwirklichung seines Wunsches hindern; er würde seinen Mann schon stellen. Das nahm sich Gottfried ganz fest vor. Der Tag daraus war ein Sonntag. Ein warmer, wol kenloser Tag. In Gottfried brannte die Unruhe. Das Haus war noch voll den Verwandten. Alle wollten die Witwe trösten und zu erfahren suchen, wie sie es denn weiter einzurichten gedenke

. Mt verschiedenen Listen trachteten sie das aus ihr herauszubekommen. Die Bäuerin aber war sehr schweigsam. Sie dachte an die Hypotheken, die schwer aus dem Dach des Riedhofes lasteten, und gedachte allerlei Rechnungen, die unbe zahlt in der alten Lade dort lagen. Aber davon sagte sie nichts. Wozu andere Menschen mit ihren Sorgen behelligen? Das trug man am besten ganz still für sich allein. Als es Nachmittag wurde, verließ Gottfried den Hof und stieg die Birkenhöhe hinan. Die Grillen zirpten vor Sommerlust

, über dem großen, gelben Haferfeld zitterte schwül die Luft. Ueberall standen die Puppen aus den mächtigen Breiten, ein paar Bauern fuhren Getreide trotz des Sonntags ein. All das überschaute Gottfried und dachte wieder an seinen Vorsatz, nun selbst Bauer vom Riedhof zu wer den. In Gedanken schritt er weiter. Er kam zu den Birken, die wie Säulen vor den: grü nen Waldesparadiese Wache hielten. Auf der Birken bank faß niemand. An diese Möglichkeit hatte er wirklich nicht gedacht. War er etwa zu spät hierher

gekommen, Gottfried sah auf die Uhr, es war schon drei vorbei. Hatte Marianne schon wieder die Geduld verloren und war sortgelavsen? Das würde er ihr nicht so bald ver zeihen. Denn nun spürte er erst, wie er sich auf diesen Nachmittag gefreut hatte und wie bitter enttäuscht er wäre, wenn er ihn allein verbringen müßte. Nein, nur das nicht? — Nun überkam ihn wieder der Aerger. Mit finsterem Gesicht schritt er hin und her auf dem heißen Rande, auf dem die Sonne brütete. Immer wieder überkamen

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 25.09.1935
Physical description: 10
Seite 146. Feierabend Nr. 37. Die Bäuerin stand auf und sah Gottfried scharf an. „Sich blind stellen? Ja, es wäre möglich, daß du so ein Tepp bist, obgleich du gar nicht so aussiehst. Greis nur zu, du bescheidener Junge, sonst holt sich den Edel stein ein anderer. Und soviel sage ich: ich gebe die Wirtschaft, den Riedhof, meiner Sippe — wenn ich sie auch nicht leiden kann —, wenn kein Mädel ins Haus kommt, das mir zu Gesicht steht." Hart und scharf sielen die Worte. Gottfried war sehr blaß

werden. Wie sollte man das nur machen? So weit war sie mit ihren Plänen noch nicht gekommen. Sie wußte nur so viel mit. Sicherheit: dieser frische, tüchtige Junge hatte ihr Herz und Vertrauen gewon nen. so daß sie fast den Sohn vergessen hätte. Ja, sie hatte wirklich mit Zukunftsplänen gespielt, in denen Lorenz keine Rolle spielte. Aber vergessen hatte sie ihn darum nicht. Er müßte bei seiner Rückkehr dann freilich in seine Rechte eingesetzt werden, die beiden, Lena und Gottfried wären sozusagen nur die Verwalter des Riedhoses

. Würden die aber auf fo etwas eingehen?' Sie schob diese noch unklaren Gedanken von sich und bestimmte: „Das werden wir noch regeln und durchdenken. Wer weiß, ob er nicht längst tot ist, der Arme. Wir müs sen warten, es hat noch Zeit. Du gibst mir aber das Versprechen .. Gottfried schüttelte ernst den Kopf. „Kein Versprechen, in keiner Hinsicht. Auch in mir muß sich noch manches klären. Ihr habt recht: wir war ten. Der Bauer lebt noch und kann vielleicht noch lange leben. Gott gebe es." „Wie kann jemand nur an deiner Stelle

von Ueber- legen reden! Jeder Bauernburfche hier im Dorfe würde mit beiden Händen zugreifen." „Vielleicht tu ich es darum nicht, weil in mir doch kein echtes Bauernblut fließt. Ich denke mir, daß es noch andere Dinge gibt, die des Lebens wert find. Nicht bloß Geld und Gut." Die Frau stand starr und sagte, schon mit dem Tür griff in der Hand: „Ich hätt' dich für gescheiter gehalten, Gottfried. Vielleicht habe ich mich doch in dir getäuscht. Da kann man nichts machen." Mit leichtem Nicken verließ

sie ihn. Er hörte sie die Treppe langsam und schwer hinuntertappen. Sie knarrte unter dem Gewicht der kleinen, schwachen Frau. Vielleicht weil die ein fo großes, schweres Leid trug. Erst den Sohn verloren — Gottfried wußte nun sicher, daß er verloren war —, und jetzt ging der Mann da von, der einzige Mensch, der zu ihr gehörte. Ja, er hatte sie gern gehabt wie eine Mutter — bis heute abends. Als sie Marianne so verächtlich behandelte und verletzte, kam es ihm erst zu Bewußtsein, wie lieb er das Mädchen

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 06.11.1935
Physical description: 10
Seite 170. fteicrabettb Nr. 43. Sie ging ganz in ihrem geliebten Kreis auf, so daß sie keine Zeit mehr für die übrige Welt hatte. Und das war aut so. — Gottfried stand auf, sah auf die Uhr und sagte: „Ja, nun mutz ich in die Sitzung. Wird heute scharf hergehen. Ich habe schon gehört, daß sich dein alter Verehrer, der Fern, mit Händen und Füßen gegen eine Schule wehrt. Er will die Gemeinde nicht bela sten! Ich weiß ganz genau, wieviel die Gemeinde lei sten kann. Eine Schule muß einfach her

über ihn, Großmutter. Er ist mir ja so fest ans Herz gewachsen. Zeigen aber darf ich es nicht. Es tut nicht gut. Jun gen müssen hart werden und selbständig sein. Das ist das einzige, was mir an Gottfried nicht gefällt, daß er so wenig gut Freund mit seinem Sohn ist. Es gibt keine Zusammenarbeit, die nicht mit einem Krach en det. Gottfried schreit Hans an, und der geht trotzig davon und rührt keine Hand mehr an. Auf diese Art lehrt er ihn die Liebe zur Scholle nicht, von der er immer so gern spricht." „Du mein Gott

, Lena, welcher Mensch ist denn feh lerlos? Du hast es mit ihm gut genug getroffen." Lena stand auf und sagte: „Horch nur, wie die Blesse nach ihrem Jungen schreit, das sie ihr gestern weagenommen haben! Es war ein so schönes Stierl, ich hätte es gern behalten. Hans hatte es sich auch so gewünscht, weil es gerade an feinem Geburtstag zur Welt kam. Aber auf solche Wünsche geht Gottfried nicht ein." Sie ging zum Stall hinüber und die Großmutter sah ihr nach. Es fiel ihr auf, daß die junge Bäuerin

sehr blaß aussah. Trug sie ein geheimes Leid? Das kleine Mädchen kam herbeigetappelt und hielt der Alten eine Maiblume unter die Nase. Die nieste gefällig dreimal, worüber das Kind laut lachte und das Vergnügen unablässig wiederholte. Darüber ver gaß sie die Sorgen, die sie eben noch beschäftigt hatten. Gottfried war raschen Schrittes durch das Dorf ge gangen. Nun sah er, daß er sich nicht zu beeilen brauchte, er kam ohnehin immer als erster in die Sitzung, so datz Ferri einmal spottete

zu haben. Ein Geschrei schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. Drüben auf der Wiese hinter dem Kirchlein spielten Jungen Krieg oder Räuber oder sonst ein mörderisches Spiel. Der Anführer war natürlich der Hans vom Riedhof. Gottfried stieg der Zorn ins Gesicht. Hatte er nicht besohlen, daß der Junge in den Wald zu den Kul turen gehen sollte? Herrgott, daß er sich gar nicht um den Hof kümmerte, der doch einmal sein werden sollte. Wenn er als Junge in solchem Hause aufgewachsen wäre! Das wäre eine Lust

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 14.08.1935
Physical description: 10
Seite 132. Fek-rabend Nr. 31. Aber Gottfried hatte keme Lust. Diese Menschen waren ihm noch ganz fremd, wesensfremd. Er mutzte sich erst an alles gewöhnen. Und dann zog es ihn gar nicht in die Stadt. Viel lieber genotz er Ruhe und Stille. Die Magd erzählte dann den anderen, daß der neue Knecht hochmütig wäre. Gottfried ging in den Obstgarten. Da war nur Gras drin und am Zaune wucherten Himbeerbüsche, datz man kaum in den Nachbarorten sah. Und doch sah er ein helles Kleid drüben schimmern. Lena

will auf die Wiesen, schnell, Friedl, helfen Sie ihm!" „Aber ich weiß mir nicht viel Rat!" „Macht nichts, ich komme mit und helfe! Achten Sie nur auf mich, dann geht es schon!" Gottfried eilte in den Hof. Der Bauer schirrte die Pferde an und rief: „Schnell den Leiterwagen aus dem Schupfen! Einspannen! Flink, flink!" Lena und die Bäuerin standen neben ihm und gaben ihm die Riemen und Bänder in die Hand und wiesen ihm stumm, wie alles zu machen war. Dann fatzen alle auf und die Pferde jagten zum Hofe hinaus

. Der Donner kam näher und näher. Gottfried schien die Arbeit auf der Wiese ein Vergnügen. Seine Kraft, neu zurückgekehrt, tobte sich an dem Heu aus, das er blitzschnell mit der Gabel auf den Wagen beförderte, wo es der Bauer schichtete. Er spürte kaum die Hitze. Die Jacke hatte er längst abgeworfen, das Hemd lietz die Brust frei. Jauchzen hätte er mögen. Die beiden Frauen sahen lächelnd dieser spielenden Kraft zu. Auch sie schafften stumm und fieberhaft. Die Wiese war fast leer. Der Wagen, voll

diesen Eigensämften einen Hausen Geld. Davon konnte sie sich den schönsten Hof kaufen. Sie würde es ihr von Herzen gönnen, denn sie hatte das Mädchen lieb wie eine Tochter. Schade, schade, daß sie es nicht geworden war! Sie hätte den Segen auf den Riedhof gebracht. Gottfried ahnte nichts von diesen spinnenden Gedan ken. Er reckte mit seliger Müdigkeit die Arme und schlief in der Nacht tief und traumlos. Am andern Tag regnete es von früh bis abends. Grau und tief hingen die Wolken über dem Birken hügel und zogen

dann wie schwerbeladene Schiffe in die Ebene hinab, unaufhörlich Wasser auf die durstige Sommererde gießend. Gottfried konnte sich nicht denken, was es an einem solchen Tage für Arbeit auf einem Bauernhof geben könnte. Aber diesem Zweifel machte der Bauer bald ein Ende. Unwirsch befahl er, noch Strohbänder her- zustellen, da er eben gesehen habe, daß die im Winter G emachten bei weitem nicht reichten. Dann müsse er »olz spalten und einen Leiterwagen ausbessern. Ratlos stand Gottfried und wagte an niemand die Frage

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Innsbrucker Zeitung
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Page 3 of 12
Date: 05.05.1934
Physical description: 12
traten zurück. Nur Gottfried Flamius mußte am Bett sitzen bleiben, die Hände des Kranken in den seinen. In Alberts Augen kam ein Schein, als wollte das Leben doch noch nicht aus der jungen Seele weichen. Sein Vater spielte drautzen im Flur den Schlutzteil, das Wahrheitsbekenntnis zum Leben. Mit einem stolzen, festen Ton endete das Lied. Alberts Augen fanden den alten Freund. Um den abgemagerten Mund spielte eln Lächeln der Freude, des Erken ne ns. „Gottfried, Herr Gottfried?" Albertina Puccardio

über das Gesicht. * A R G A f r f A ,,/y D> R A uhmus * -MCHTS tat uti ouocn te*i*t os**a sattste* ws*oau Albertina Puccardio preßte die Augen zu. „Nicht dieses Lächeln!" „Ich habe wohl geträumt, Herr Gottfried? Wie kom men Sie hierher? Sind Sie nicht in der Pension? Bin ich in Weimar? Bin ich krank? Was ist mit mir?" lieber die grauen, mageren Wangen des alten Man nes liefen Tränen. Sprechen konnte er nicht. Der Nervenarzt trat unhördar vor Puccardio, zwi schen Vater und Sohn. Der Kranke machte seine Hände

frei und sah sie an, strich über die Augen, die Stirn und sah die Hände wieder an. „Sie weinen, Gottfried. Ich war wohl sehr krank? Oh, Gottfried, ich habe solche Angst, Gottfried, halten Sie mich!" Der alte Mann umschlang den jungen, lebenden Kör per. Jagende Röte strich über das bleiche Gesicht, ein quälendes, entsetzliches Schluchzen kam aus der Brust, und dann rang ein Lächeln mit den hervorbrechenden Tränen. „Nicht wahr, Gottfried, nicht wahr, das waren Fie berträume? Albertina Puccardio

kann mein Vater nicht fein!" „Herr Albert!" Die langen, dünnen Hände faßten nach des Alten Brust und krampften sich in den Stoff des Anzuges. „Du antwortest nicht, warum nicht? Wer macht die Tür dort zu?" Eine entsetzliche Energie, eine ungeheure Kraft und Sinnesschärfe kam über Albert. Er setzte sich im Bett hoch und starrte nach der Tür. Hart und scharf klan gen seine Worte: „Ist dort Aibertino Puccardio? Ant worten Sie, ich will es wissen!" „Ja!" sagte Gottfried Flamius. Er konnte nicht lügen. Alberts

Gesicht veränderte sich nicht. „Ist er mein Vater?" „Ja!" Nun sah das Gesicht des Kranken grauenhaft aus. Wie eine Totenmaske, verzerrt im Entsetzen. Er fiel zurück. Gottfried streckte die Arme nach ihm, ihn zu halten, den Sohn des geliebten Herrn halten, den jungen Menschen halten, den das eigene alte Herz lieb ge wonnen hatte wie ein eigenes Kind. Alberts Augen hatten sich geschloffen. Der junge Körper bäumte sich unter den herannahenden Händen „Zurück! Wer sind Sie?" Der Alte ließ die Arme fallen

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 31.07.1935
Physical description: 10
Schreien. Ein Mann, vielleicht ein Knecht, faß auf einem Stein und hielt sich jammernd und um Hilfe rufend den Fuß. Hatte der wütende Stier ihn verletzt? Und jetzt sah Gottfried aus dem Dorfe eine Schulklasse nahen. Um Gott, wenn der Stier auf die Straße und unter die Kinder geriet? Ohne Besinnen sprang er empor, lief die Wiese hin ab. schwang ftd) behende über den Zaun und lies auf das Hoftor zu. Das tobende Tier sah ihn noch nicht. Der Mann am Tor schrie ihm entgegen: „Mach das Scheunentor

auf!" Es gab nur ein Tor. das geschloffen war, also mußte es wohl das Scheunentor fein, die anderen Türen und Tore standen alle offen. Gottfried riß es auf und raste davon, denn jetzt hatte ihn der Stier entdeckt. Wütend nahte er mit gesenktem Kopfe. Gottfried fiel ein, daß er einmal im Kino einen Stierkampf gesehen hatte. Er riß eine rote Schürze oder Bluse von einer Leine und näherte sich dem Tier. Das Tier schnaubte wütend und rannte blind darauf los. Gottfried wich rückwärts zurück, sprang seitwärts

nichts von Landarbeit. Da werde ich wohl wieder gehen können. So einen wie mich kann man da nicht brau chen. Wenn man auch noch so guten Willen hat." „Bleibt nur und probiert erst! Vielleicht habt Ihr - eine geschickte Hand. Mancher erlernt alles schnell. Ich unterweis Euch ein bißl, schon wegen der Gefälligkeit vorhin. Halt der Bauer darf davon nichts merken." Vom Haus her kam ein Mädchen. Gottfried erschrak und flüsterte: „Die hat wohl alles mit angesehen?" „Das macht nichts, das ist die Haustochter vom Hel

. „Du, Franzl, wenn das aber mein Bruder gesehen hätte! Dann täts dir übel ergehen. Nun, ich weiß — dein weher Fuß! Ich schweige schon. Kein Mensch wirds erfahren. Sie können mir, bitte, noch helfen, den Stier unter die Haube zu bekommen und in den Statt zu bringen. Wer sind Sie denn?" Gottfried nannte zögernd den Namen, den er gestoh len und der ihm so schwer über die Lippen kam. Sie nickte. „Also, Herr Gleiner, am liebsten behielte ich Sie hier, aber wir haben Leute genug, und mein Bruder ist etwas genau

. Aber ich werde bei der Riedhofbäuerin für Sie bitten. Vielleicht behält man Sie drüben über die Ernte." Nach einer Viertelstunde war der Stier in seinem Stand untergebracht und angekettet. Das Mädcken hatte eine flinke Art, zuzupacken und zu handeln. Sie war nicht hübsch, die Haustochter vom Hellerhof, aber auch nicht häßlich. Ein unscheinbares Gesicht, eine leichte, schmale Gestalt, schlichtes Haar. Aber die Augen waren von warmer Bläue, und man hatte sofort Zu trauen zu dem leicht schelmischen Mund. Gottfried dachte

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 28.08.1935
Physical description: 10
Sette 130. Feierabend Nr. 33. So weit las Gottfried den Brief vor. dann steckte er beide Briese ein. Die Bäuerin achtele dessen nicht. Sie war ganz weiß im Gesicht und ihr fast zahnloser Mund zitterte. Nach langem Ringen brachte sie die Worte heraus: „Nein, tot kann er nicht sein, mein Lorenz! Wie wäre er denn ohne ein Abschiedswort von dannen ge gangen. Nun mutzt du nach Amerika schreiben, Gott fried? Von meiner Tante der Sohn ist auch drüben, war auch lange verschollen

, und da haben sie sich an solch ein Amt gewendet, und das hat ihn richtig ausge- forfcht. Du kannst schön schreiben und die Worte gut setzen. Gelt, du tust es mir, um Gottes willen! Ich denke, wenn er lebt, wird er doch einmal schreiben! Du sagtest doch, daß er oft davon gesprochen hat. von einem Brief für die Mutter ..." Ihre Stimme brach zitternd ab. Gottfried versprach alles und schluckte schnell sein Essen hinab. Ihm brannte der andere Brief in der Tasche. Den hatte die Frau in ihrem Kummer ganz vergessen. Wer konnte

es dir was machst du ich Hab einen Guten dienst aber ich werde wandern weil mir bang ist in der Statt, am Dorf war es fchener auch mehr Arbeit aber das macht nichts. Vielleicht hast Du meine neue Adres vergefen. Hier ist sie. Deine treue Marianne Kober." Gottfried ließ den Brief sinken, sein Herz pochte laut. Hier war Gefahr! Der tote Schneidergeselle hatte sonst niemand in der Welt gehabt als nur sein Mädel, das Waise war und sich ebenso an ihn klammerte. Da würde sich am Ende ein Briefwechsel entspinnen

einfaches Mäd chen kaum solch Schriftstück loslassen! Er zerriß den Brief zu tausend Fetzen und streute sie ins Feld. Der leichte Zommerwind kam und trug sie fort. Ein stiller, schöner Sonntag lag über dem Dorfe. Der Duft des Heues kam schwer und süß von den Feldern hereingezogen und mengte sich mit dem der Rosen, die in allen Gärtchen in vollster Blüte standen. Außer dem Hüterbuben, der auch Sonntags die Gän seherde auf den Anger trieb, war kein Mensch auf dem Riedhof. Nur Gottfried hatte sich erbötig

gemacht, da heim zu bleiben. Die Bauersleute waren zu einer Hoch zeit gefahren und hatten schon früh mit dem kleinen Wägelchen das Haus verlassen. Gottfried hatte sich stolz als Herr gefühlt, war dem Jungknecht, der Sonntags nur ungern die Pferde putzte, energisch auf den Leib gerückt und bestarck auf Einhaltung aller Pflichten. Rest, die Magd, bereitete ein gutes Mittagessen und schob ihren Sessel dabei immer näher an den Gott frieds. Liebevoll häufte sie ihm die besten und größten Bissen

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 02.10.1935
Physical description: 10
unbewußt in diesen Tagen engen Bei einanderarbeiten das trauliche Du, und Gottfried schien es oft, als wären sie schon in die Zukunft geglitten, als gehörten ihnen beiden diese herrlichen Felder voll goldenen Segens. Einmal, als sie vom Feld heimgingen, kam ihnen ein Leiterwagen entgegen, auf dem Gottfried unter den anderen auch Marianne sitzen sah, braun, üppig, mit weißen Zähnen lachend. Sie bog sich gerade zurück, und er sah den schönen Hals aus dem. leichten Kleide blü hen. Sie sah

ihn nicht. Wie lustig sie war! Gar nicht vergrämt oder ge kränkt, daß er damals nicht gekommen war und. auch sonst keine Anstalten traf, sie zu sehen. Sie konnte lachen und vergnügt sein, während er kämpfte und litt. Sie freute sich wohl auf die Wende, da sie mit Fervi auf ihre Rechnung kam! Er ahnte nicht, daß er völlig verstummt war, und daß ihn Lena blaß und still von der Seite beobachtete. Beim Riedhofertor sagte sie: „Nun, Gottfried, brauchen Sie mich wohl nicht mehr. Morgen muß ich bei uns helfen

. Sie haben sich ja auch bei dem Schnitt so schnell eingearbeitet, daß eine Hilfe gar nicht mehr nötig ist." Er nahm die entgegengestreckte Hand und dankte. „Sie sind sehr gut, Lena, Gott vergelte es Ihnen." Er merkte nicht, daß beide wieder zu der förmlichen Anrede zurückgekehrt waren. Das Du war vergessen. Die Riedhoferin rief ihn herein. „Der Bauer will mit dir sprechen. Er ist jetzt ganz klar bei Sinnen. Vielleicht ermacht er sich noch ein mal." Gottfried trat in die heiße, dunstige Stube, wo der Alte in den bunten, hochgetürmten

euch!" In dem Ton ging es eine Wnze Weile. Gottfried stand voll geheimen Zornes. Aber die Bäuerin warf ihm beschwichtigende Blicke zu, so daß er schweigend die Lippen zusammenpreßte, im Herzen aber dachte: Ist doch ein schweres Dienen bei solch altem, gräm lichem Manne. Ihm graute plötzlich davor, weiter bei ihm zu arbei ten, wenn er wieder gesund würde. Nun fühlte er erst, wie sehr er sich bereits in den Gedanken eingelebt hatte — unbewußt beinahe —, auf dem Riedhof der Herr und Gebieter

: „Der Doktor meint, daß es bald zu Ende mit ihm geht. Die Leber ist es. Und heut hat er so klar geredet wie sonst. Das tun oft Sterbende zum Abschied." Todmüde sank Gottfried auf sein Lager und fuhr erst auf, als der Wecker zu schnarren begann. Da sprang er in die Höhe und begab sich taumelnd an seine Arbeit. Heute fehlte Lena in der Reihe der Arbeiten den. Als er abends heimging, stand Marianne am Waldrand bei der Kuckuckswiese. Er sagte mit spöt tischer Verwunderung: „Hast du es aber gut! Kannst müßig

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Tiroler Bauern-Zeitung
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Page 6 of 16
Date: 01.10.1936
Physical description: 16
Der Friedensbrief. Von Franz Josef Koslar. Nachdruck verboten. Gottfried Knapp war Student deS zweiten Kurses. In Wirklichkeit hält' -er schon im vierten sein können, aber er war für unbedingte Gründlichkeit, deshalb wiederholte er den ersten einmal und den zweiten wieder einmal. Sein Vater, -er reiche Ebnerbauer in Gallenmarkt, war aller dings mit dieser Gründlichkeit nicht sehr einverstanden, aber was half's? Heimnehmen wollte er seinen Buben nicht und Fleiß, Talent und Eifer konnte

er ihm nicht mit schicken, wenn er Eßpakete, Hosen und anderes an den hoffnungsvollen Sprößling absandte. So saß Gottfried Knapp an seinem Studierpult und hatte die Finger in die Schläfen gestemmt, daß sich tiefe Rillen in das rote Fleisch gruben und jeder gemeint hätte, er nähme die Wissenschaft gleich in Schöpfkellen zu sich. In Wirklichkeit träumte er über die Latein- und Geschichts bücher hinweg, mit denen er auf besonders feindschaft lichem Fuße lebte, zählte daheim die Kühe im Stall, trieb die Hennen der Mutter

aus den Kornfeldern, suchte ver legte Eier und fing Spiegelmeisen in der Schlagfalle. Ein zufriedenes Lächeln legte sich immer breiter auf sein rotes Gesicht, die Augen leuchteten, die Wangen brannten vor Eifer. Aber am nächsten Tage stand er wieder wie der Ochs vor dem Berge, übersetzte so jämmerlich ins Latei nische,daß der Professor sich in Qualen wand und die Mit schüler dqs Lachen nicht verhalten konnten. Gottfried mußte sich setzen und hatte wieder den sicheren Vierer im Zeugnis. V Wenn er bat

, daß er heimkommen dürfe, winkte der Vater ab. Wozu zahlte er das schwere Geld? Ob er sich nicht vor den anderen schäme, 'die mit ihm in die Volks schule gingen? Nein, Gottfried hätte sich nicht geschämt. Ein einziges Mal wieder Erdäpfel sehen oder beim Flachsbrecheln helfen — alle Freuden des Gymnasiums und der-Zukunft, zu denen es die Tore öffnete, hätte Gott fried hingegeben für dieses frohe Glück. Er wollte Bauer werden, einen Hof besitzen, Ackerland und Wiesenfläche, Moos und Hochwald. Was hatte er -ie vier

Jahre an Heimweh gelitten, sie wußten es nicht, seine Vorgesetzten nicht und seine Mitschüler nicht, die meinten alle, er woll' nicht studieren. Da kam eines Tages ein Brief an den Ebner in Gallenmarkt. Im Brief stand: „Ihr Sohn Gottfried ist diese Nacht aus der Anstalt davongelaufen. Wir bitten um sofortige Mitteilung, wenn er heimgekommen ist. Sonst müßten wir die Polizei ver ständigen. Der Regens Dr. Th. Prambacher. Als der Ebner diesen Brief gelesen hatte, kannte er sich zunächst

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 07.08.1935
Physical description: 10
die Hand. „Still, er schläft noch nicht. Er braucht nicht zu wis sen, daß du ihn kennst. Wir dürfen nie — nie von ihm reden." Von drinnen rief jemand. Sie ging rasch von ihm fort und nickte ihm von der Schwelle her noch aus- munternd zu. Der Mond kam hinter dem Walde herauf, und sein Gold glitzerte über den großen, aber nicht gerade net ten Hof. Drüben der war viel sauberer. Manchmal brüllte eine Kuh, und das klang so bang, als sähe sie ein Unheil nahen. Gottfried lehnte den Kopf an die Wand und dachte

ce scheinbar zu einer anderen Gemeinde. Eine Tür knarrte. Die Bäuerin stand auf der Schwelle und winkte ihm. Leise folgte er ihr durch einen weiten Flur, über knarrende Holzstiegen. Oben stieß sie eine Tür auf und betrat eine kleine Kammer, die von eingeschlossener Luft erfüllt war. Gottfried wußte sofort: das ist Lorenzens Kammer. Alles atmete fein ganzes Wesen aus, fast leibhaftig schien er ihm gegenwärtig. Sachte entzündete die Riedhoferin eine Kerze und trat damit vor ein Gruppenbild, das an der Wand

über dem schmalen Eisenbett hing. Gottfried trat stumm ne ben sie und forschte nach Gesicht des einen, der fast sein Verderben geworden war. Lauter Soldaten saßen Und lagen da. Und er entdeckte das herrische Gesicht, darin die Augen voll unbändiger Wildheit funkelten. Gottfried hob die Hand und legte stumm den Finger auf dieses Gesicht. Die Frau nickte schwer und atmete zitternd auf. „Ja, das ist er. Sag mir nun, um Gottes willen, wo er ist. Lebt er?" Sie stellte den Leuchter nun auf den kleinen Tisch und sah

bist du nur fein Vorläufer und er kommt nach. Glaubst du nicht?" Gottfried war todmüde und sehnte sich nach einem anderen Lager, als der Waldboden abgab. Aber um der bangen Mutteraugen willen zwang er sich zu der hoffnungsfreudigen Antwort: „Da könnt Ihr recht haben, Frau." „So schlaf denn gut, du bist müde. So lange du hier bist, kannst du immer hier schlafen. Es ist feine Kam mer. Aber schweig gegen jedermann. Alle denken, der Lorenz ist in der Hauptstadt in einer guten Stellung. Ach, wie man lügen muß

. Aber Gott wird mir verzei hen." Als sie draußen war, löschte Gottfried die Kerze und riß das Fenster auf. Dann entkleidete er sich und ließ die Nachtluft, gemischt aus Waldesodem und Wiesen duft, über seinen bloßen Körper strömen. Bevor er in das saubere Bett stieg, wusch er sich mit dem kalten Wasser, das in einem Kruge stand. Es war ihm, als müsse er alles Unreine von sich tun. Er konnte nicht gleich einschlafen. Immer mußte er horchen, wie er es in den letzten Wochen getan yatte. Jedes Rascheln

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 11.09.1935
Physical description: 10
Seite 138. Feierabend Nr. 35. miteinander. Mir ist eine Magd, die ich lange Jahre hatte, krank geworden, da gewöhnt man sich schwer an eine andere. Aber es muß halt fein." Damit schritt sie, kurz winkend, ins Haus. Marianne folgte ihr nicht sogleich. Cie blieb noch vor Gottfried stehen, der mahnend zuredete: „Na, siehst, Marianne, es ist nicht so schlimm, wie es aussah. Bist ein Trotzkopf." Sie jubelte leise. „Du sagst du zu mir? Das ist fein. Das wallt ich schon immer hören. Sie sagen tun

, feit wann das so zwischen uns ist: feit der neue Knecht im Riedhof ist." Da gerade-war er gekommen, der Knecht vom Ried- hos, mit einem schönen, fremden Mädchen. Und sie hatte der heftigen Röte nicht wehren können, die der Wellenschlag ihres Herzens hinaufgetrieben. Ja, und feit jenem Tag kam Gottfried nicht mehr abends in den Garten zürn Zaun, um ein Plauderstündchen zu halten. Und das war immer das Schönste des ganzen arbeitsreichen Tages gewesen. Wer war das fremde Mädchen? Eine Verwandte? Braut

. Da konnte es doch gar keine Arbeit mehr für ihn geben! Da — jetzt näherte sich jemand, kam durchs Gras vorn Riedkos hergestapft. Sie rührte sich nicht, aber ihr Herz pochie schwer. Aber dann sank sie in eine Welt von bitterer Ent täuschung. Es war nicht Gottfried, sondern die Ried- hoserm. Sie kam bis zum Zaun und fragte: „Lena, bist du hier? Und hast du Gottfried nicht gesehen? Ich suche ihn schon überall!" „Nein", sagte Lena so ruhig wie möglich, „er ist nicht da, und ich habe ihn auch schon lange

nicht ge sehen und gesprochen. Wie geht es dem Riedhofer?" „Eben, es geht ihm sehr schlecht. Ich möchte Gottfried zum Doktor in die Stadt schicken. Er kann so schnell reiten. Und ich finde ihn nirgends." Beide schwiegen und horchten in das Abenddunkel. Die Nacht sank jetzt schon wieder früher nieder, die Luft schien voll schwülen, geheimen Zaubers. Die Bäu erin fragte vorsichtig tastend: „Wo kann denn Gott fried jetzt immer sein? Weißt du es nicht? Gestern sagte mir jemand, daß ein fremdes Mädel

auf dem Zaunerhof dient, das Gottfried hingebracht hat. Er sagte mir nichts davon, und fragen mochte ich nicht. Sonst sagt er doch immer alles." „Ich selbst habe ihn einmal Sonntags mit dem Mä del gesehen. Vielleicht führte er sie da auf den Zaun- nerhof. Ich Hab ihn seitdem nicht gesprochen." Zwischen beiden Frauen stand ungesagt die Angst um den Menschen, der erst so kurze Zeit in ihrem Le ben war und es doch ganz ausfüllte. Die alte Frau, deren Sohn verschollen war, hatte den unverbrauchten Rest

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 30.10.1935
Physical description: 10
. Es sieht so aus. Vielleicht hat er sie deshalb geheiratet. Nun, uns geht es nichts an. Wir freuen uns schon, bis Du wiederkommst." Gottfried las diesen Brief so oft, bis der ganz zer drückt war. Also hatten die beiden einander so rasch geheiratet! Er horchte in sich hinein. Ach nein, es wü tete weiter kein Schmerz in ihm. Seit er hier lebte und neue Menschen kennengelernt hatte, war Marianne ein wenig ins Vergessen geraten. Der Gutsbesitzer hatte seine Helle Freude an dem Volontär, der ihm soviel

wie möglich abguckte. Der Junge war hell im Kopse, der konnte es noch weit bringen. Und ein Ehrgeiz kochte in ihm, daß der alte Herr oft verwundert den Kopf schüttelte. „Sie wollen daheim wohl das ganze Dorf umdre hen?" Als er merkte daß Gottfried sich besonders für Ge nossenschaften und Kastenwesen interessierte, ließ er ihn in alles Einblick tun. Und so kam es, daß Gottfried, als der Schnee schmolz und die Amsel pfiff und den Anbau meldete, vollgepfropft mit Kenntnissen und Erfahrungen aller Art

Hof mit den Stätten, die weiß getüncht waren. Seit Gottfried hier Bauer war, hatte es wenig Mißernten gegeben. In seiner Hand lag vielleicht das Gluck der Sonntagskinder. Alles gelang ihm gut. Wie arm war er hergekommen! Die Alte entsann sich noch genau jenes Sommerabevds. Der Bauer hatte von einem zweiten Knecht nichts wissen wollen. Und wie gut war es, daß sie ihn behalten hatten. Jetzt be saß sie ein Heim und durste wieder Kinder aufziehen, die sie liebte wie ihre leibhaftigen Enkel

. Ja, der Gottfried zählte jetzt zu den reichsten, an gesehensten Bauern des Dorfes. Es war wohl Glück dabei, aber auch Verdienst, das mußte jeder Neider zu geben. Gottfried arbeitete nicht nur in Feld und Wald, andern auch an sich selbst! Wieviel Bücher und Zeit- chriften kamen ins Haus, seit er hier der Bauer war. Und Lena tat jederzeit tüchtig mit! „Mutter", sagte sie immer, „man kann nie genug lernen." Die Alte wischte sich ein wenig über die Augen. Nein, eigentlich mit den Kindern hatten sie kein be sonderes

, in der Sonne herumkrabbeln sah, aber dann verfinsterte sich sein Gesicht. Schars rief er: „Hans, hast du sonst gar nichts anderes zu tun? Ein so großer Junge spielt doch nicht den ganzen Tag mit solchem Holzding herum! Geh in den Wald und sage den Leuten, daß die Fichtensetzlinge in der Lich tung nicht wieder so nahe beieinander stehen dürfen. Schau, wie sie es machen?" Der hübsche Junge warf trotzig und unwillig den Holzsäbel fort und ging mit auffallend schlenkerndem Schritt davon. Gottfried sah

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 20.11.1935
Physical description: 10
stand am großen Wäscheschrank, den ihr Mann samt den anderen Einrichtungsgegenständen ihr zu Weihnachten geschenkt, und ordnete die blühweise Platt wäsche ein. Ja, Gottfried war aufmerksam, sicher viel aufmerk samer als manch anderer Ehemann. Und doch steckte hinter jeder Aufmerksamkeit etwas» was mir feinem Ehrgeiz zusammenhing. Sie floß nicht aus feiner Liebe zu ihr. Er wollte das säsimste Gut besitzen, die klügsten Kinder, die tüchtigste Frau, die tadelloseste Einrichtung. Sie öffnete die Tür

zu der „guten Stube", auf der er bestanden und in die er die fremden Herren brachte, die oft hieher kamen und Reden führten, die sie nicht verstand. Heimlich staunte sie Gottfried an. Wie schnell er sich alles Nötige angeeignet hatte: das feine Benehmen, die Sprache, die Ausdrücke. Wie sicher er auftrat! Kein Mensch hätte je gedacht, daß er vor vielen Jahren als armer Knecht hiehergekommen war. Lena seufzte. Sie kannte so gut die Fehler ihres Mannes und liebte ihn trotz allem immer noch. Gottfried kam

noch nicht feiern, denn sie arbeiteten im Akkord. Der Bau mußte im Septem ber fix und fertig sein. Die schriftliche Bewilligung für die Schule fehlte noch, doch Gottfried genügte vorläu fig die mündliche Versicherung seines Gönners. In jeder Gemeinderatssitzung fragte Ferri höhnend danach und pflegte zu sagen: „Nun hätten wir wohl eine Schule, aber nur das Gebäude und keine Kinder hic für." Gottfried war klug genug, dazu vielsagend zu schwei gen. Sommerfrischler hatten sich bis jetzt zwei gemeldet, drei weitere

werden." „Na meinetwegen, da bin ich einverstanden." „Ich werd dann gleich nachsehen, ob mir sonst was fehlt. Der Kerl hatte Werkzeug bei sich, wie sie Ein brecher benutzen. Er hat auch mit Brandlegung ge droht. So was gehört eigentlich vor die Gendarmerie." „Ich werd einmal mit ihm sprechen." Gottfried begab sich hinten hinaus zu der alten, lee ren Kapelle, die verlassen in der Feldeinsamkeit stand. Er warf einen Blick durch das kleine, vergitterte, doch glaslose Fenster. Der Sünder saß auf dem feuchten Steinboden

, war sein Freund und Komplice gewesen. Gottfried wandte sich ab und schritt hastig davon. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Wäre ein schönes Schauspiel morgen, wenn er dem Sünder gegenüber stünde und der zu ihm sagte: „Servus, Gottfried, wie geht es noch immer? Hast ja eine goldene Uhr und einen mächtigen Hof, sitzt tief im Glück drin, dieweil ich noch immer stehlen und betteln mutz. Hundeschlecht geht es mir wie uns allen. Nur du hast Glück gehabt!" Der Schatten der bösen Vergangenheit

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 22.07.1936
Physical description: 10
mir den Weg." „Marialene. Marialene", schrie der Mann; „es ist ja alles nicht wahr! Ich bin ja dabei gewesen. Den Bauknecht hats niedergeschlagen und drei Kal ben. Der Knecht hat sich schon wieder erholt, aber die Kalben sind hin; deswegen komm ich jetzt herunter." „Wer bist denn du? Zeig mir den Weg, ich mutz zum Gottfried, ist er lebendig oder tot." „Marialene, ich bins ja selber, der Gottfried, dein Mann." „Mein Gott, mein Gott, vom Blitz erschlagen; es ist schrecklich!" „Nein, nein, ich bin gesund und frisch

! Kennst du mich denn nicht? Deinen Mann, den Gottfried?" „Heilige Maria, feine Stimme ists. Gottfried, Gott fried, ists möglich? Du bist von den Toten auferstan den?" Sie weinte wie ein Kind. Da er merkte, daß sie nur mit ihrem Hauskleid und ganz naß war, streifte er rasch seinen Mantel ab und legte ihn ihr um. Sie schlotterte am ganzen Körper. „Mein Gott, du arme Haut, du bist ja wie ein geba detes Hühnl, und zu kalt hast auch. Komm, wir gehen heim." „Ja, ja, wir gehen heim. Gelt, und der Gottfried

heftig und erklärte, bis morgen fei alles wieder gut. Nachdem sie in der Nacht stark geschwitzt hatte, war sie am Morgen etwas schwach, aber sonst fehlte ihr richtig nichts mehr. Bloß ein leises Zittern ging ab und zu durch ihren Körper. Auch das verlor sich nach drei Tagen. Die Frau wurde wieder munter und frisch, und der Vorfall schien keine Folgen hinterlassen zu haben. Doch war die Frau viel weicher geworden. Einmal sagte sie zum Gatten: „Gottfried, jetzt weiß ich erst, wie viel id) unserem Herrn

Dank schuldig bin. Wenn ich dich verloren chätt, tät mich das Wehe und Elend gewiß ins Grab hinun terdrücken." „Und wenn du nicht mehr da wärst, Marialene, dann hält ich keinen hellen Tag mehr, es wäre immer Nacht." Ein Glück klopft an und macht dem Unglück die Tür auf Drei Monate gingen dahin, im Daviterhofe sah man einem freudigen Ereignisse entgegen. Die Marialene war manchmal etwas zaghaft, meistens aber guter Dinge. Eines Abends sprach sie zu ihrem Manne: „Du, Gottfried, ich bet immer

den Davitereheleu- ten nichts mehr übrig, als die Wahrheit bekannt wer den zu lasten. Das neugeborene Knäblein, das, wie alle Stammhalter auf dem Daviterhofe seit vielen Ge nerationen, den Namen Gottfried führte, war ein kern gesundes, gut entwickeltes und sehr wohlgestaltetes Kind; nur hatte es ein furchtbares Muttermal, und zwar just im Gesicht. Das ganze Gesichtlein von der linken Seite bis zur rechten und von oben bis unten war bläulich-schwarzrot, als ob es verbrannt wäre. Von der Ferne gesehen, schaute

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 15.01.1936
Physical description: 10
Leite 216. Feierabend Nr. 52. lassen Die mich holen. Morgen schaue ich jedenfalls herein?' Gottfried tobte die ganze Nacht. Immer ging es um den Riedhof, oft auch saß er in der Gemeinde. Am Tag lag er still wie ein Toter. Lena ließ niemand herein. Denn was der Riedhofer da alles ausschwatzte, brauchte kein Mensch zu hören. Der Name Marianne kam auch manchmal vor, und da gab es Lena jedesmal einen Ruck im Herzen. Eines Tages erschien aber die Frau selbst auf dem Hofe. Als Lena sie vom Fenster

, aber wir haben uns noch nicht entschlossen. Im Dorfe gehen so häßliche Ge rüchte herum — wer weiß, ob Gottfried wird Vorste her blechen." „Dann ist er noch immer der Bauer vom Riedhof. Wenn die Leute nicht einsehen, was er für die Ge meinde und das ganze Dorf getan hat, dann verdient man eben nicht, einen solchen Vorsteher zu haben." Sie reichten einander die Hand, und Lena fühlte mit wehmütiger Freude, daß sie Siegerin geblieben war. — Die Oktobersonne schien warm herab, als Gottfried zum ersten Male aufstand. Der alte Arzt war gerade

schon ganz wie ein Großer und hatte scheinbar gründ lich seinen Auswanderertraum vergessen. Die Großmutter kam mit verweintem Gesicht heraus und bat: „Gottfried, möchtest du nicht einmal zu Lo renz kommen? Er will mit dir sprechen." Gottfried war erstaunt, daß Lorenz ihn rufen ließ. „Heute? An meinem ersten Ausgang? Wo ich mich wieder ein wenig des Lebens freue?" „Er wird sich nie mehr des Lebens freuen können. Er wird dir die Freude auch nicht vergällen und dir nichts Böses sagen. Die Krankheit

hat viel von ihm genommen." „Morgen, Großmutter, morgen! Heute laß mich in der Sonne!" Still schlich die alte Frau fort. Und da zwang es Gottfried in sie Höhe. Morgen . . . Weiß Gott — für viele kommt gar kein Morgen, und das würde dann nagen — das Versäumnis . . . So tat er den schweren Gang zu dem Manne, der ihm so viel Böses im Leben zugefügt hatte. Aber als er ihn in den Kiffen liegen sah, schon einem Abgestor benen gleich, schwand jeder Groll hinweg. Er hatte das Spiel verloren und Gottfried vermochte

keinen Triumph auszubringen. Der Kranke hob den Kops, als er den Riedhofer er kannte, und sagte gleichmütig: „Wir würfelten beide, und du hattest die höchste Zahl. Der Zufall hätte es auch anders bringen können. Gottfried, als wir beide unter dem Wagen lagen, sagtest du ein Wort, das mir die ganze Zeit durch den Sinn geht. Du sagtest: „Helft zuerst dem anderen — er hat eine alte Mutter." Siehst du, das war wie ein Schwamm, der meinen Haß aus löschte. Vielleicht hätte ich sonst darüber gelacht

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Volkszeitung/Deutsche Volkszeitung
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Page 13 of 20
Date: 30.07.1938
Physical description: 20
von mehr als siebzehn und einem halben Kilo meter ihres Wohnortes als ein hübsches Mädchen. Mehr noch, als ein liebenswürdiges, immer freundliches Son- nenstrählchen. Am meisten hat Onkel Gottfried sie ins Herz ge- schlossen. Bald nach Lillis Geburt Hub der Unfug an. Onkel Gottfried kam, besichtigte das kaum drei Wochen alte Mädelchen, gluckste laut vor Entzücken und stellte zur Entrüstung der gesamten Verwandtschaft fest, Lilli gleiche ihm wie ein Ei dem anderen, sie sei ihm geradezu aus dem Gesicht

geschnitten. Wenn man bedenkt, daß Onkel Gottfried gute 110 Kilogramm wiegt und eine Nase besitzt, die ihn immer in den Verdacht bringt, er söffe mehr als die Besatzung eines Walfischjägers (Onkel Gottfried behauptet, es käme von einer Landpartie im Rauhreif), kann man gut ver stehen, daß die entrüstete Kindesmutter ungeachtet der verwandtschaftlichen Beziehungen Onkel Gottfried von Stund ab das Haus verbot. Onkel Gottfrieds Gutmütigkeit ist aber ebenso um fangreich wie die Röhren seiner Hosen

, der zwar nur um ein Jahr älter war als sie, aber von dem Zerstörungstrieb eines erbosten, hundertjährigen Medi zinmannes der Bahu-Bahu beseelt war, schreckte Onkel Gottfried keineswegs ab. Mochte das liebliche Pärchen die funkelnagelneu gespendete Weckuhr über Nacht in die Badewanne legen („Wir wollten nur sehen, ob sie was serdicht ist"), oder einer Aug auf- und zuklappenden Puppe mit einem Stemmeisen den Kopf öffnen, mochte es nun den Brockhaus zum Bildchenausschneiden und den Zitatenschatz zum Männchenkleben

verwenden, Onkel Gottfried war niemals böse und spendete immer von neuem. Als Lilli fünfzehn wurde, erhielt sie die modernste Kleinkamera, die aufzutreiben war. Da ihr Freund Heinz zu dieser Zeit erfreulicherweise nicht mehr im Lande war (seine Eltern hatten ihn in einer berechtigten Anwandlung von Notwehr auf die Philippinen ver pflanzt), wurde die prunkvolle Kamera nicht zur Erzeu gung von Sägemehl verwendet, sondern tatsächlich zum Photographieren. Das heißt, Lilli wollte sie dazu ver wenden

ist nur ein Schritt. Ein winzig kleiner, meint Lilli. Es ist ein schöner Zug von ihr, daß sie als ersten Onkel Gott fried aufnahm. Niemand ist imstande, seinen dieserhalbj gefühlten Stolz zu schildern. Aber selbst Onkel Gottfried, der sinnlos Gutmütige, zog seine Stirnfalten zu einem verkümmerten Runengerinnsel, als er das Bild zu sehen bekam. Auch den herzhaftesten Ueberredungskünsten sei ner vielgeliebten Nichte wollte es nicht gelingen, ihn da von zu überzeugen, das auf dem Bilde sichtbar gewor dene Monstrum

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 27.11.1935
Physical description: 10
Seite 182. Feierabend Zu ihren Füßen. Gottfried fühlte sein Herz schwer in der Brust schlagen. Mit heiß erkämpfter Ruhe sagte er: ..In den ersten Stunden des Wiedersehens wollen wir Uber diesen Punkt noch nicht sprechen. Uebrigrns wird dir deine Mutter wohl gesagt haben, in welchem Zu stand der Riedhos war, als Lena und ich ihn über nahmen." „Ja. Lena, das ist wieder eine Sünde von dir. Die nahmst du mir auch." Nun aber lachte Gottfried hell heraus. „Hätte sie zwanzig Jahre auf dich warten

und nach wem ist Hans so geartet? Deine Frau ist die Alltäg lichkeit selbst, und du — du siehst jetzt aus wie der Protzenbauer in den .Fliegenden'." Erschrocken fragte Gottfried: „Ich protzig? Da kennst du mich schlecht? Bin der einfachste Mensch? Frag nur im Dorf nach!" „Oh, Hab schon, Hab schon! War gestern schon im »Bären'. Da müssen dir die Ohren geklungen haben, fast lauter Lob. Es war mir fast so wie bei .Kanitver- stahn'. Ueberall stieß ich aus deinen Namen. Molkerei, Raisfeisenkasse

." „Ich tu immer, was ich will, vielleicht weißt du das noch. Und den Jungen wirst du nicht halten, ivenn er Lust zum Durchbrennen hat. Warum sollst du auch nicht etwas hergeben, du hast ja so viel! Und dir bleibt noch genug!" „Der Riedhos soll einen Erben haben. Wofür hätt ich gearbeitet? Ich Hab sonst keinen Sohn." „Des Hofes Erbe sitzt hier, guter Gottfried, du ver gißt das immer! Und für einen jungen Erben kann ich noch immer sorgen. Ist doch ein großartiges Zusam mentreffen! Wer hätte das gedacht

das", bat Gottfried mit heiserer Stimme, „wie soll es n"n werden mit uns beiden? D" m"ßt doch von der Mutter gehört haben, daß der Rkdhof aanz verschuldet war, daß sie ihn hätte verkaufen müüen. Da hat ihn eben Le^a gekauft, zu mäßigem Brei«. da für lebte ccker die Mutter bei uns die ganzen Jahre und batte es gut." „Ich Hab jetzt auch noch k-'ne Lust, mick mit diesen Dingen «"seinanderzusetzen. Meine S ""^2 ist mir Ücker. Ick bin nickt ganz arm, aber ge«"n dick nnstr^ttck »m Beller, Ich werde mtt

nach dem Tage deiner Mrette." Er ver^'unmtt "rkstrocken non dem v""üä»-^en Ge fickt de« ^aters. Der aing gleick in die S^ckfstnbe. Im Wobn»iwmer war de»- Abendbrnttifck aed"ckt. L«nn stand nrn Fenster »mb snäbfe die Doxsstraße hin ab. Er rief leise ibren N-»m"n, Da kam ste .»u ibm ins du"bfe Sckckfzimmer und hielt feine .Brände fest. „Gottfried, wie wttd da« mm? Er sagt, daß alles ihn» aebüT-t und w-ir fort muffen " „Der Riedstof ist dock unstr. ist dein, Lena!" „Nein, unter, Gotttried! Was hätte

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Der Arbeiter
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Page 6 of 10
Date: 04.12.1935
Physical description: 10
war, um der Großmutter wie immer Gute Nacht zu sagen. Nebenan sprachen halblaut die Eheleute. Und da kam wieder das tiefe Erbarmen mit dem Sohn über sie. Er hatte recht: Um Gottfried häuften sich Schätze und Werte des Lebens. Er hatte Geld, Besitz. Weib und Kin der, war gesund und geehrt. Lorenz war mit ganz lee ren Händen zurückgekommen und fand sein Vaterhaus nicht mehr. Ein anderer hatte sich darin breitgemacht. Als die Kleine schlief, ging sie hinaus und setzte sich mit ihrem tiefen Quälen auf- die Hausbank

. In den Ställen brannte das elektrische Licht, die Kühe wurden gemolken und gefüttert, wohlgepflegte Tiere guter Rasse. Alles gedieh. Gottfried befaß die sogenannte gute Hand. Die hatte nicht jeder. Lorenz besaß sie nicht, des halb war es an ihr, zu ibm zu halten und ihm das Feh lende zu ersetzen. Die Summe, die sie von Lena für den Riedhof bekommen, lag auf der Bank und wuchs von Jahr zu Jahr, da sie nichts brauchte, im Gegenteil noch einlegte, denn sie bekam ja Geschenke von „drü ben", über die sie oft

, ruhigen Familienlebens, in das sie ganz hineingehört hatte. Eine Tür ging plötzlich auf. Gottfried stand vor ihr und sah auf sie hinab. Sie saß mit gebeugtem Rücken, als trüge sie ein un sichtbares Bündel. Um ihren sonst heiteren Mund lag ein verkniffener Zug. Ueber das braune Gesicht Gottfrieds flog ein wehes Lächeln. Triibe nickte er vor sich hin. Ja, ja, dachte er, jetzt bangt sie wieder um die Zu kunft ihres Lorenz. Denn er ist doch ihr Kind, an dem sie mit allen Fasern ihres alten Herzen hängt

doch endlich froh, Großmutter, daß Lorenz wiedergekehrt ist! Das mutz eine Freude gewesen sein! Aber Ihr macht so gar kein glückliches Gesicht! Warum denn mcht?" Forschend betrachtete er ihr Antlitz, das immer noch gar so starr und finster blieb. Die Alte schluchzte ein wenig und grollte: „Weil er halt jetzt nichts hat — weil er von Haus und Hof getrieben und jetzt gar so arm ist!" Gottfried setzte sich neben die alte Frau und meinte ruhig: „Er ist ja selbst gegangen - vergeht es doch nicht! Wißt

." „Aber ich Hab ihn viel zu billig hergegeben! Weil ich eben dachte, Lorenz kommt nicht mehr zurück. Hätte ich gewußt, daß er kommt — nie wär der Riedhof in eure Hände gekommen." Gottfried lachte ein wenig. „Da hätte ihn halt ein anderer bekommen! Ihr hät tet ihn doch nicht halten können fünfzehn Jahre lang! Wißt Ihr nicht mehr, wie schwer die Hypotheken auf dem alten Dach lagen? Warum ist denn Lorenz nicht früher Zurückgekommen? Wie einfach wär alles ge wesen!" „Ja, dann hätte er die Lena bekommen — über haupt — Lena hätte

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