Bunte Geschichten am Wochenende Unter der Brücke von Arles Als ich an Beatrice jenen folgenschweren Brief schrieb, war ich schon ganze zwei Jahre Kriegsgefangener. Nutzlose Träume reien, Langeweile, ein paar billige Zigaretten ; das war das Leben. Immerhin hatten wir seit zwei Monaten manche Freiheiten. Nicht mehr der Lagerzaun begrenzte unseren Blick. Wir warfen tagsüber südlich von Arles einen Damm auf, der die Aecker vor den alljähr lichen Ueberschwemmungen der Rhone schüt zen
sollte. Ich atmete wieder froher. Meine Gedanken, die bisher auf der Stelle traten, schweiften nun in die Vergangenheit zurück, in das dritte Jahr des Krieges, als ich mit meiner Truppe in Scrignac lag, jenem wildromanti schen Felsennest in der Bretagne, dem der Westwind, vom Atlantik herüberbrausend, pausenlos zusetzt, Stein und Mensch ver witternd. Aber ich will von Beatrice erzählen. Ihr Vater, ein echter, schweigsamer Bretone, be saß eine Ferme — eines jener burgartigen Ge höfte, die aus dem Mittelalter
von Beatrices Vater, nachdem der Bruder nach kurzbemessenem Glück Abschied genommen und in sein Lager bei Schneidemühl zurückgekehrt war, ein häufig gesehener Gast. Ich liebte Beatrice — sie liebte mich. Doch dem Vater mußte un sere Liebe verborgen bleiben. So trafen wir uns des Abends stets auf der versteckten Bank, die das Kriegerdenkmal hinter der Kirche umsäumte. Oder wenn ich im nahen Moriaix Kohle für den Schmiedmeister zu besorgen hatte, fuhr auch Beatrice unter ir gendeinem Vorwand in die Stadt
nochmals beweisen, was ich für sie einzusetzen bereit war: von unbe kannter Hand war an einem Telegraphenmast ein Stück Papier angebracht worden, das Drohungen gegen die Besatzung enthielt. Der Ortskommandant, der die Tat auf das unein geschränkte Abhören der englischen Sende stationen durch die Zivilbevölkerung zurück führte, ordnete an, sämtliche Radioapparate in der Ortschaft unverzüglich zu beschlag nahmen. Ich hatte davon erfahren und war zur Ferme geeilt, um Beatrice und ihrem Vater Bescheid
zu geben. Auf die Gefahr hin, entdeckt zu werden, half ich ihnen mit eigenen Händen, ihren Apparat im Keller zu ver stauen. Als einzige Wohltat seit der Hochzeit seines Sohnes schenkte mir der Bretone zum Dank ein Glas Most. Und das war viel. Wir zogen bald darauf in die Normandie, und ich habe von Beatrice nie mehr ein Wort gehört. Und doch war sie mir ständig nahe, auch dann, als der Krieg seine Ungewitter über mir entfesselte: die Idylle jener Ferme von Scrignac lebte stets in mir wie das Sinnbild