Im Bannkreis der Chemnitzerhütte : Jubiläumsschrift der Sektion Chemnitz des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins ; 1882-1907
74 Dr. Hans Mühlstädt. wieder freie Bahn hat und auf dem Neveserjoch mit der Chemnitzerhütte, 2415 m, landet. Vom Nevessattel, 3039 m, hat man ein herrliches Dolomitenpanorama, und uns präsentierte sich dieses Bild unter jenen wunderbaren Lichtern und Farben, die nur der Föhn im winterlichen Gebirge aufsteckt. Des Windes freilich darf man dabei nicht achten. Der ist ja eben der mächtige Zauberer, der die Wolkenwände coulissenartig verschiebt, der die Sonne scheinen läßt und sie verhüllt
und wie nur je ein guter Regisseur die prachtvollsten Effekte schafft. Der Winter ist arm an Farben und Licht gegenüber dem Sommer im Hochgebirge, aber wenn der Föhn auf Wolkenfittichen über die Berge braust, dann steht auch der Wintertourist manch mal still in seligem Schauen. Soeben noch lag die Welt da draußen ganz im grauen Nebel, kein Licht, keine Farbe, kein Leben ringsumher; da zerreißen die Wolken, Aussicht vom Nevessattd nach Südosten. die Sonne blitzt irgendwo hervor, zerteilt mit Streifen und Strahlen
ihres Lichtes das Grau und zuckt silbern und golden hinein in das Land, bringt Licht in~cfie Massen, löst die Bergketten auf, daß sie flimmern und leuchten und auf einmal in einem Glanze dastehen, den das Auge des Menschen nicht lange erträgt. Rot, violett und gelb werden die Wolken am Horizont, als ob ein Weltenbrand dahinter lohe, die nahen Berge schwimmen im tiefsten Blau. Da wird die Marmolata frei, und die Königin der Dolomiten erglüht unter dem heißen Kuß der Sonne. Dort stehen die Drei Zinnen