Seite M Donnerstag, 25. Mai 1989 Der Schandfleck © AGRIPINA VERLAG • KÖLN Der Roman im ^blksboten LUDWIG ANZENGRUBER 37 „Ich hätt’ halt doch nach Föhmdorf h’nüber sollen, ja, oder der Leopold hätt’ sich darum annehmen können, es ist ja doch seine Schwester.“ „Der Leopold?“ lachte spöttisch die neue Reindorferin. „Den man nicht einmal geladen hat? Ich denk, der hat was Gescheiteres zu tun, als unnötig Geld zu verfahren! Ich hätt’ dich ja gerne ziehen lassen, die paar Tage Ruh’ im Haus hätten
“, schrie sie, „daß ich mich nicht an dir ver greif’! Du unnütz Maul auf der Schüs sel, du Blumendieb!“ Leopold trat aus der Stube. „Was gibt’s denn schon wieder?“ fragte er. „Ganz närrisch ist er heut, der Alte. Nicht genug, daß er daherredet, als ob wir ihm Briefe von der Leni stehlen möchten, er sagt mir auch ganz offen ins Gesicht, daß ich mir wohl unrech terweis was beiseite schaff’ — “ „Sie hat angehoben“, sagte ent schuldigend der Alte. „Und wenngleich“, sagte Leopold, „du hättest sollen
, daß er eben sonst nicht auswis se, lag in der Art, wie er beide Schul tern hob und die Arme seitwärts warf, erst jetzt, wo er sie wieder sinken ließ und sich abwandte, begegnete er den Blicken des Vaters, denen er während der ganzen Rede geflissentlich ausge wichen war. Der Alte hatte ihm, solange er sprach, in das Gesicht gestarrt, jetzt ächzte er auf, drehte sich hastig um, tastete nach dem Stocke, der ihm ent fallen war, und stürzte über den Hof, hinaus auf die Straße. Leopold machte eine Bewegung, tun
er, „daß ich so wie ein Wildling davongelaufen bin, das war dumm, nun muß es gewiß der arme Leopold ausbaden, der wird hinter mir her wollen, und sie wird es nicht zulassen, aber er wird schon kommen, und mich holen, er wird schon kom men, er erspart mir sicher, daß ich ihm soll auf den Hof gekrochen kom men wie eine verlaufene Katz’: nach her will ich schon auch wieder gute Worte geben. Ja, ja.“ Er blieb lange, und er blieb allein, noch einmal sah er nach dem Reindor- ferhofe aus, dessen Schornstein rauchte lustig