. Dr. Jung als Politiker. I. Innsbruck, 6. März. Das Erste, was ein Deutscher zu thun pflegt, wenn er sich mit Politik zu beschäftigen beginnt, ist, daß er eine Partei zu gründen sucht. So viel Parteien auch schon vorhanden sein mögen, er findet immer, daß eine neue unbedingt nöthig ist, daß keine der vorhandenen dem Idealbilde entspricht, das er sich in einsamen oder auch in geselligen Stunden von einer vollkommenen Partei gemacht hat. Wie aber eine vollkommene Partei aussehen und was sie anstreben
. Wenn man nur recht gewaltige und hohe Worte an- wendet, wenn man vor Allem möglichst oft erklärt, daß man „unentwegt" Vorgehen werde, dann wird das Wunder schon geschehen, die Mauern von Jericho werden einfallen, die Minorität wird zahlreicher sein als die Majorität und die Siege werden so leicht erfochten sein, wie die der Kaffeehaus-Strategen auf der Landkarte, wie die des Kindes, das gegen Zinn soldaten kämpft. Die ganze Naivetät dieser Art von Politikern findet sich in der Rede wieder, die Herr Dr. Jung
in der Wählerversammlnng beim „grauen Bären" gehalten hat. Oder hält Dr. Jung seine Zuhörer für so naiv? Man möchte fast eher an natürliche politische Harmlosigkeit glauben, wenn man wahr nimmt, daß er sich mit abstracten Phrasen einführt wie: „Der Staatsgedanke bildet eben so ein Ueber- gangsstadium zwischen Land und Nation, wie der Ländergedanke eine Zwischenstufe zwischen Stamm und Staat gewesen ist." Mit solchen und ähnlichen nichtssagenden Formeln gewappnet, will Dr. Jung die geistigen und materiellen Interessen
des deutschen Volkes in Oesterreich praktisch vertreten, und hofft er, von praktischen, ernsten Männern das Mandat zu erhalten, in ihrem Namen Politik zu führen? „Für uns", so erklärt Dr. Jung stolz, um nur recht zu zeigen, wie hoch er über dem deutschliberalen Candidaten steht, „für uns ergibt sich aus demnatio- nalen Princip von selbst das Bestreben, die deutsche Nation im Parlament zur Herrschenden zu gestalten." Und wie will er dieses Kunststück, daß die Vertretung von 36 Procent Deutschen
die herrschende wird gegenüber der Vertretung von 64 Procent Nicht- deutschen, zu Wege bringen? Dadurch, „daß wir jene Nation abstoßen, welche immer das Zünglein an der Wage bildet, stets das große Wort führt und uns überreichlich mit Ministern versorgt, also durch eine staatsrechtliche Sonderstellung Galiziens." Herr Dr. Jung ist wahrhaftig noch sehr — sagen wir optimistisch. Wie will er denn, vor Allem, die Herren Polen bewegen, ohne eine riesige Ent schädigung auf eine Stellung zu verzichten