„Neueste Zeitung" Samstag, den 28. Oktober 1939 Seite 4 Nr. 248 Hans Christoph Kergel: Späte Verwandlung Wer mit dem Walde zusammenlebt, wird selber wie ein Daum. Die Jahresringe schließen das Herz ein. So erging es dem alten Holzhändler Jakob Grunschel zu Lehmwasser in den 'schlesischen Bergen nicht anders. Ermatte keinen Grund ju verwundern, daß sein Sohn Richard nicht anders n sie vor dreißig Jahren auseinandergekom- Vater noch Sohn fand ein Wort, das sie wurde. So waren men.und weder
Wäldern erinnern lassen. Eines Tages offenbarte er seiner jungen Frau doch, was er in den letzten Jahren stumm ertragen hatte. Sie schrieb an den fernen, alten Vater, ohne daß Richard Grunschel etwas daoon erfuhr. Der Brief, der von der einzigen großen Liebe und Sehnsucht des Sohnes berichtete, erfüllte den alten Bafer so voller Glück, daß dach Herz es nicht mehr fassen konnte. Er lxgte sich lächelnd zur Seite. Er ging ein in Wald und Erde. Die Nachricht von seiner Heimkehr in die Ewigkeit erreichte
, wie er hieß. Richard Grunschel blieb stehen, seine Beine zitterten. — Richard ließ seine Frau he^ankommen, griff mit den Händen nach ihr, als suche er eine Stütze: „Wir müssen fort, ganz schnell fort! Ich besorge mir einen Wagen. Ich kann keinen Schritt mehr weiter!" „Was ist dir denn, Richard?" „Ach, das verstehst du nicht. Siehst du denn nicht, das Haus steht noch, es ist nichts angebaut, kein Stein ist verrückt. Die selben Schindeln liegen noch auf dem Dach. Unter dem Holz habe ich als Kind
meine Räuberhöhle gehabt. Riechst du nicht den Stall, das ganze aufgeschüttete Heu, die Pferde? — Immer nur Pferde — Holz! Sei doch mal still^Weib, hörst du nicht, da kommt doch jemand!" „Richard, du träumst!" , „Ich hätte doch nicht hierher kommen sollen." Mut, Richard, ich gehe ins Dorf hinunter und besorge dir einen, Wagen." — In diesem Augenblick kommt eine alte Frau mit zwei Wasserkannen um den Hof herum und will durch die Apfelbäume hindurch zum Brunnen hinaufsteigen. Sie geht wie sie wohl hundertmal
den Weg gegangen ist, sie § sieht weder links noch nach rechts. Plötzlich aber wird sie un ruhig in ihrem Gang. Sie hebt den Kopf und stößt eintzn leisen hrei aus. Die leeren Kannen entfallen ihren Händen, Es ist utttt Schöpel, die in dem Richard Grunschel nichts anderes sieht, als den wiedererstandenen Vater Jakob. Erft als sich Richard bewegt und nach alter städtischer Gewohnheit den Hut vom Kopf zieht, sieht sie, daß es keine Erscheinung ist, sondern ein Mensch. Sie hebt die Kannen wieder auf, kommt