Walther von der Vogelweide : ein Dichterleben.- (Geisteshelden ; 1)
die Gräuel des Bürgerkrieges an dem finstern Horizont und über der schwülen Luft. Zu dieser Zeit trat Walther von der.Vogelweide auf den Plan und redete über das Geschick des Reiches in seinen Sprüchen, zuerst an den Höfen der Fürsten und von diesen aus zum deutschen Volke. Gewiß ist es kein Zufall, daß die politischen Gedichte, welche sich auf die Bedrängnis des Kronenzwistes (1198) beziehen, die ersten sind, welche uns von Walther be wahrt blieben. Wem es überhaupt damals schon gegeben
war, sich als Bürger des deutschen Reiches zu empfinden, dem mußte das drohende Schicksal herzbewegende Mahnworte ans die Lippen drängen, und so zuvörderst wohl dem Sänger, der das Land und die Menschen genau kannte und der die Gabe besaß, des Volkes allgemeine Stimmung in sein Lied zu fassen. Man nimmt gemeinhin an, Walther sei der erste gewesen, welcher die Politik in die Dichtung der Fahrenden einbezogen habe. Das ist nicht unbedingt nötig. Darf schon jener Reim, mit welchem ein Spielmann das Herz Karsts
74 — wer stark genug war, den Frieden zu brechen, sondern auch strittiger und zweifelhafter Privatbesitz siel durch Gewaltthat den Mächtigen zu. So waren Hunger und Elend nicht umsonst Vorzeichen des nahenden Unheiles gewesen, die „Not ob aller Not" kam aber erst dräuend heran: nicht mehr schien der Eid bindend, welchen die deutschen Fürsten dem einzigen Sprossen des Kaisers, dem Knäblein Friedrich, geleistet hatten. Gegen könige sollten gekürt werden, und wie eine schwere Gewitter wolke hingen